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Edgar J. Jung, „Deutschland und die konservative Revolution” (1932)

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Das Dritte Reich wird also nicht als Fortsetzung des großen Säkularisationsvorgangs möglich sein, sondern nur als seine Beendigung. Es wird germanischchristlich sein oder nicht. Es umfaßt in sich die Abkehr von den nationalstaatlichen Formen westlicher Prägung, von der Verengung eines fehlgeleiteten Nationalismus. Der neue Nationalismus ist ein religiös-kultureller Begriff, weil er zur Totalität drängt und keine Beschränkung auf das rein Politische duldet. Die Sprache der deutschen Revolution wird — bei aller und gerade wegen dieser nationalistischen Grundhaltung — eine weltläufige sein. Wir werden im Kampfe um unsere Selbsterhaltung zum ersten Male wieder eine Sprache sprechen, die zum Herzen anderer Völker dringt. Denn die deutsche Sache wird zur Sache aller Völker, die nicht wie Frankreich den Ablauf der Geschichte hemmen wollen, indem sie sich und ihr Geistesgut als abschließenden Höhepunkt für alle Zeiten statuieren wollen. Somit liegt das Moment der außenpolitischen Befreiung schon in der freiwilligen Übernahme der deutschen Revolution als europäischer Aufgabe umschlossen. Revolution bedeutet die Herrschaft eines neuen sozialen Wertprinzips. Jede Revolution muß deshalb eine »Weltrevolution« sein, ihre spezifische Form mag sich in den Grenzen, die der völkische Charakter zieht, halten. Aber sollen wir vom Plätzchen an der Sonne schwärmen, unser Lebensrecht verkünden oder sollen wir frank und frei vor die Welt treten und ihr sagen, daß es ohne unsere Beiträge kein Gesicht der Menschheit gäbe, das geordnete geistige Züge aufweist, und soll es uns wirklich nicht gelingen, uns, dem Volke Luthers, Kants, Beethovens und Goethes, Entscheidendes auch zur politischen Neugestaltung der Welt zu tun?

Das Deutsche läßt sich schwer als geistige Weltsprache benutzen, eine Feststellung, die nicht philologisch gemeint ist. Zwar ist die Sprache eines Hegel, eines Marx, eines Nietzsche politisch in der Welt lebendig geworden. Zwar lauscht man heute in Italien, in Frankreich und in anderen Ländern auf die Stimmen der deutschen konservativen Revolution. Viel mehr Augenmerk wird aber auf den gewaltigen Massenprotest gewendet, den der Nationalsozialismus darstellt. Er bekennt sich zum Dritten Reiche, ob in dem tiefen umfassenden Sinne, wie die Männer, die den Gedanken des geheiligten Reiches neu belebt haben, ihn hegen, ist eine offene Frage. Man kann der Auffassung sein, es müsse gelingen, den Nationalsozialismus mit der geistigen Renaissance, die das letzte Jahrzehnt Deutschland geschenkt hat, zu durchdringen. Es ist aber auch die Anschauung erlaubt, dem Nationalsozialismus eine begrenzte historische Aufgabe zuzuweisen; der Zertrümmerung einer morschen Welt und der Bereitung der großen Brache, auf der die neue Saat aufgehen soll. Soviel steht fest: die Sehnsucht all der Massen, die heute für den Nationalsozialismus opfern, entspringt dem großen konservativen Erbbilde, das in ihnen ruht und sie so zu handeln zwingt. Ob — um bei diesem rassehygienischen Bilde zu bleiben — das Erscheinungsbild dieser Sehnsucht, das heute Nationalsozialismus heißt, vorwiegend die Züge der konservativen Revolution oder der liberalen Liquidation trägt, soll an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Die gewaltigen Energien, die das erwachende deutsche Volk durchpulsen, sind unverwüstlich. Mögen Propheten, Feinde und Freunde leidenschaftlich die Zukunft des Nationalsozialismus umstreiten; mögen sie baldige Erfüllung oder Rückschläge künden, uns, die das kommende Reich und den Willen, zu ihm zu gelangen, unverrückbar im Herzen tragen, kann weder ein Rückschlag noch ein stürmischer Massenerfolg in der Grundrichtung beirren.

Es wird uns vorgeworfen, wir liefen neben oder hinter den politischen Kräften her, wir seien Romantiker, welche die Wirklichkeit nicht sehen und sich in Träume einer Reichsideologie steigern würden, die rückwärts gewandt sei. Aber Form und Formlosigkeit sind zwei ewige soziale Prinzipien, so wie der Kampf zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos in ewiger Pendelbewegung anhält. Die Erscheinungsbilder, welche die Geschichte zeitigt, sind immer neu, die großen Ordnungsprinzipien (mechanistisch oder organisch) bleiben immer dieselben. Wenn wir deshalb an das Mittelalter anknüpfen und dort die große Form sehen, so verkennen wir nicht nur nicht die Gegenwart, sondern sehen sie realer als diejenigen, die nicht hinter die Kulissen zu schauen vermögen. Romantiker ist, wer gegen die Gesetze einer Zeit geschichtliche Vorbilder aufrichtet. Die Romantiker des 19. Jahrhunderts haben solche Bilder gemalt und nicht erkannt, daß die Woge des Liberalismus ungebrochen war. Wenn sie aber gegen die Scheinwirklichkeit des liberalen Weltbildes aus dem Mittelpunkt der Seele heraus eine neue Wirklichkeit zu beleben versuchten, so waren sie nicht deshalb wirklichkeitsfremd. Ihre Wirklichkeit war eine größere und tiefere, weil ihre wahrnehmenden Sinne feiner entwickelt waren.

Für uns liegen die Dinge anders. Die Zeit ist gekommen, da die Auflösung sich vollendet, da die Wirklichkeit der liberalen Weltauffassung sich als illusionär herausgestellt hat, da die Meisterung des Lebens durch Abstraktion und Verstandesherrschaft sich als unmöglich erwiesen hat. Wir sehen die Welt wieder wie sie ist, weil wir selbst nicht nur von dieser Welt sind, sondern weil wir die metaphysische ahnen und als kosmisches Gesetz in uns fühlen. Deshalb ist unsere Stunde gekommen: die Stunde der deutschen Revolution.



Quelle: Edgar J. Jung, „Deutschland und die konservative Revolution“, Deutsche über Deutschland. München: Albert Langen, 1932, S. 369-82.

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