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Mütter, Karrieren und Elternzeit (23. April 2006)

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Die französische Regierung unterstützt im Gegensatz dazu ein breites Netzwerk von Kinderbetreuungsstätten, von denen viele bis um 18 Uhr geöffnet sind.

Gesellschaftliche Einstellungen verschärfen die Probleme zusätzlich. Während Männer laut Gesetz ein Recht auf bezahlten Erziehungsurlaub haben, machen wenige davon Gebrauch, da sie fürchten, es könne ihrer Karriere schaden. Frauen, die gleichzeitig arbeiten und Kinder großziehen, ernten von Kollegen und Vorgesetzten Missbilligung. Vor kurzem zeigte ein Moderator einer Talkshow Dr. von der Leyen ein fiktives Titelblatt mit einem Foto von ihr und der Überschrift: „Mama, wo warst du, als ich klein war?“

„Im täglichen Leben der berufstätigen Frau ist die Idee der Rabenmutter noch sehr lebendig,“ sagt Martin Werding, ein Experte für Familienpolitik beim Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. Wie Dr. von der Leyen es ausdrückte: „Das schlechte Gewissen bringt Dich um.“ Anstatt die Hürden zu überspringen und die Schuldgefühle mit sich herumzutragen, bekommen viele deutsche Frauen keine Kinder. 2005 waren 42 Prozent der Frauen mit akademischen Berufen kinderlos. Der Prozentsatz ist doppelt so hoch wie in Frankreich, das einer der höchsten Geburtenraten Europas hat.

Dr. von der Leyen, 47, führt ihre Entschlossenheit, berufstätig zu sein und Kinder zu haben, auf die Ermutigung zurück, die sie in den 90er Jahren erhielt, während sie an der Stanford University arbeitete. Ihre Vorgesetzten dort, sagt sie, waren beeindruckt von ihrer Fähigkeit, Beruf und Haushalt zu balancieren. Im Gegensatz dazu sagte ihr ein Vorgesetzter in Deutschland, als er hörte, sie erwarte ihr drittes Kind, sie würde zu wenig Kraft zum arbeiten haben.

Dr. von der Leyen sagt, sie möchte die flexible Kinderbetreuung Frankreichs mit den finanziellen Anreizen Schwedens verbinden. Ihr Hauptvorschlag, von Schweden übernommen, besteht darin, die Elternzeit in Deutschland auf 12 Monate zu verkürzen, die Zahlungen – bis zu 2.200 $ pro Monat – dagegen ans Einkommen zu binden. So hätten Familien mit höherem Einkommen einen größeren Anreiz, Kinder zu bekommen, während die kürzere Zahlungsdauer ein Anstoß für die Mütter wäre, früher wieder in den Beruf zurückzukehren.

Sie will außerdem fordern, dass Väter mindestens zwei Monate Elternzeit nehmen, falls eine Familie die vollen 12 Monate Erziehungsgeld bekommt, damit die Männer gezwungen sind, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Diese Bestimmung hat insbesondere bei den Konservativen in der CDU, die Deutschland in einer großen Koalition mit der SPD regiert, für Verdruss gesorgt.

Teilweise ist das schlicht altmodische Geschlechterpolitik: viele Christdemokraten treten, wie Konservative fast überall, für traditionelle Familien ein, mit einem arbeitenden Vater und einer Hausfrau als Mutter. Doch Deutschlands besondere Geschichte erhitzt außerdem die Gemüter in dieser Debatte, auf manchmal widersprüchliche Weise. Die Nazis waren die letzten begeisterten Familienpolitiker in Deutschland, eine Tatsache, die vielen hier angesichts von Plänen zur Vermehrung der Bevölkerung ein mulmiges Gefühl bereitet. Doch die Nazis glorifizierten ebenfalls die Idee der Hausfrau und Mutter, was von den Unterstützern Dr. von Leyens oft angeführt wird.

„Das Denken, dass Mütter sich um ihre Kinder kümmern sollen und Männer die Familie ernähren ist ein Produkt unserer dunklen Vergangenheit,“ sagt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. „Es ist noch immer in den Köpfen der Menschen, selbst wenn sie liberal oder fortschrittlich klingen.“



Quelle des englischen Originals: Mark Landler, „Quoth the Raven: I Bake Cookies, Too,“ New York Times, 23. April 2006, S. WK 3.

Übersetzung ins Deutsche: Insa Kummer

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