GHDI logo

Das Problem der Rente (13. Februar 1996)

Seite 2 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Kanzler Adenauer begriff sofort, welche Chance die eine Hälfte Altersrente des Schreiberplans zur Bindung der Wählerschaft der Alten an die Union bot; auch die Notwendigkeit der Umlagefinanzierung leuchtete ihm ein. Für die Jugendrente konnte er sich jedoch gar nicht erwärmen; Kinder hätten die Leute immer und sie seien im Übrigen keine Wähler. Gegen den erbitterten Widerstand von Schreiber setzte er deshalb nur die Altersrentenhälfte inklusive Mischfinanzierung und Versicherungsterminologie um – ein Paradebeispiel für Gefälligkeitsdemokratie. Vor den katastrophalen Folgen der Verstümmelung des Schreiberschen Generationenvertrags warnte bereits zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens, im April 1956, Schreibers kongenialer Mitstreiter Oswald von Nell-Breuning, der Begründer der Katholischen Soziallehre: Dieses System könne niemals Stabilität auf Dauer erreichen, es hänge in der Luft. Seine Warnungen verhallten jedoch ungehört.

Wie recht die beiden Erfinder des Generationenvertrags hatten, wissen wir heute: Alsbald verstand es die Politik, das finanzpsychologisch vorteilhafte Instrument der Beitragsfinanzierung, mit dem sich Abgabenwiderstände vorzüglich unterlaufen lassen, virtuos zur Beglückung einer rasch wachsenden Seniorenschar mit immer höherer Lebenserwartung zu handhaben; in Wahljahren wurden Renten auch schon zweimal erhöht. Heute könnte die Verteilung des verfügbaren Volkseinkommens zugunsten der Altengeneration und zu Lasten der beiden jüngeren Generationen gar nicht asymmetrischer mehr sein, als sie ist.

Das beweist die Armutsexplosion bei Familien schlagend: Stand 1965 nur jedes 75. Kind unter sieben Jahren zeitweilig oder auf Dauer im Sozialhilfezug, war es 1990 jedes zwölfte und ist es heute jedes siebte Kind. Eine vierköpfige Familie mit Durchschnittseinkommen lebt heute bereits auf Sozialhilfeniveau. Zu der einfachen Einsicht, dass Sparen bei der Nachwuchsgeneration Raubbau an der Zukunft bedeutet und dass es sinnvoller wäre, junge Menschen zur Ausbildung zu schicken als alte zum Sonnen nach Mallorca, ist die Politik offensichtlich nicht mehr in der Lage. Extremer könnte auch die demographische Schieflage kaum sein; unausweichlich wird das Durchschnittsalter in Deutschland schon im Jahr 2025 bei etwa 47 Jahren liegen – gegenüber 40 heute. Und mit der wachsenden Altenzahl gerät die Politik immer unentrinnbarer in die gerontokratische Falle – wie auch die Pflegeversicherung beweist.

Im Laufe von vierzig Jahren wurde die epochale Idee der Generationensolidarität so in das Gegenteil verwandelt. Heute stehen wir vor dem Generationenkrieg: Graue Panther gegen Beitragszahler. Ausgerechnet das größte Sozialleistungssystem zerstört durch seine Asymmetrie der Lasten- und Leistungsverteilung und den steigenden Anteil der Alten den gesellschaftlichen Zusammenhalt restlos: Sein Ergebnis ist eine Umverteilung von jung zu alt, von Frauen zu Männern, von Familien zu Kinderlosen. Inzwischen gehen sogar die Kronzeugen des Systems reumütig auf Distanz: Vor wenigen Wochen stellte Dieter Schewe, 1956 im BMA selbst an leitender Stelle für die Grosse Rentenreform verantwortlich, fest, dass das Rentensystem, entgegen den ursprünglichen Absichten, tatsächlich auch noch die Kluft zwischen Arm zu Reich, keineswegs verringere, sondern sie extrem vergrößere; man habe damals die Wirkungsmechanismen des Systems falsch eingeschaetzt.

Wer das aendern will, kann das nur, indem er Transparenz schafft und den Menschen die Funktionsweise des Systems erklaert. Begonnen werden muss bei der Versicherungsterminologie. Für die Verwechslung von Solidarität mit Rendite ist sie die Grundursache. Dieser Unfug muss beendet werden. Die Vorstellung der durch Eigenleistung erworbenen, eigentumsähnlichen Ansprüche, ist ebenso weitverbreitet wie völlig falsch: Durch ihre Rentenbeiträge haben die Senioren nur ihre Schuld gegenüber der Generation ihrer Eltern getilgt, nicht mehr.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite