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Ein langweiliger Wahlkampf? (9. September 2009)

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Eine Wahl im Schatten der Krise

Spannung erwuchs bei Bundestagswahlen vor allem aus Ausnahmesituationen, wie sie die erste gesamtdeutsche Wahl darstellte, aus einer krisenhaften Zuspitzung der ökonomischen oder politischen Lage, aus einem Personenduell mit offenem Ausgang und aus Ängsten der Bevölkerung vor Eingriffen in ihre materiellen Interessen und Sicherheitsgarantien. Es gab auch Wahlkämpfe, in denen leidenschaftlich über Gesellschaftsentwürfe gestritten wurde; dies liegt jedoch schon mehr als drei Jahrzehnte zurück und ist damit für junge Wähler schon ferne Geschichte.

Die Frage, was 2009 bestimmt, lenkt den Blick zunächst auf die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise. Noch im Frühjahr sah es so aus, als würde es eine Wahl im Schatten der Krise. Auch jetzt geht es nach Einschätzung der Mehrheit bei der Wahl vor allem um die Chancen, möglichst rasch aus der Krise herauszukommen. Erst mit ihrer Zuspitzung bildete sich seit Anfang des Jahres bei den Wahlabsichten der Bürger eine schwarz-gelbe Mehrheit heraus. Zwei Drittel der Bevölkerung haben in den letzten Wochen über die Krise diskutiert, mehr als über jedes andere Thema. Und doch prägen Krisenängste die Ausgangslage für die Wahl immer weniger. Der wirtschaftliche Pessimismus der Bevölkerung ist in den letzten Wochen erdrutschartig verfallen. Rechneten im Mai noch 55 Prozent der Bürger mit einer ungünstigen Konjunkturentwicklung, sind es jetzt nur noch 30 Prozent.


Höchstens ein Wechsel des Koalitionspartners

Die Sorge, dass eine bestimmte politische Konstellation die eigenen Interessen bedrohen könnte, spielt bei dieser Wahl anders als 2005 kaum eine Rolle. Zwar erwartet die große Mehrheit der Wähler von der nächsten Legislaturperiode angesichts der hohen Staatsverschuldung wenig Gutes; das „Drohpotential“ wird jedoch nicht einseitig einer Partei zugeordnet wie 2005, als nahezu 40 Prozent der Wähler fürchteten, durch eine Regierungsübernahme der CDU/CSU persönliche Nachteile zu erleiden.

Auch aus der Perspektive eines möglichen Regierungswechsels erwächst diesmal kaum Spannung. Zwei Drittel der Bevölkerung erwarten, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt; knapp die Hälfte sieht sie in der kommenden Legislaturperiode an der Spitze einer schwarz-gelben Koalition, 16 Prozent als Kanzlerin einer weiteren großen Koalition. Entsprechend erwartet die große Mehrheit, dass es höchstens einen Wechsel des Koalitionspartners gibt. Diese Perspektive erzeugt nur bei einer Wählergruppe Spannung und mobilisiert dort in ganz ungewöhnlichem Maße, nämlich bei den Anhängern der FDP.

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Die „Lust am Meinungskampf“

Zwar werden CDU/CSU und SPD auch nach vier Jahren großer Koalition von den Bürgern mit völlig unterschiedlichen politischen Zielen und Programmen assoziiert. Spätestens seit den Beschlüssen der rot-grünen Koalition zur Agenda 2010 ist den Bürgern jedoch nur zu bewusst, dass die programmatischen Ziele und die in der Regierungsverantwortung getroffenen Entscheidungen oft erheblich divergieren und divergieren müssen. Linke Parteien, die stärker weltanschaulich geprägt sind, werden dadurch meist stärker beschädigt als die pragmatischen bürgerlichen Parteien.

Es ist jedoch nicht nur die Zusammenarbeit in der großen Koalition, die es fast unmöglich macht, zugespitzte polarisierende Debatten loszutreten. Nicht nur die Politik ist pragmatisch und nüchtern, die ganze Gesellschaft ist es. Polarisierende Debatten sind der Bevölkerung fremd geworden; wenn sie Zeuge solcher Debatten wird, konsumiert sie diese eher als spezifische Form der Unterhaltung, ohne davon nachhaltig und tiefergehend berührt zu werden. Die „Lust am Meinungskampf“, die der Zeitungswissenschaftler Emil Dovifat als Wesensmerkmal der Deutschen benannte, ist schwächer geworden, insbesondere an weltanschaulichen Grundsatzdebatten.

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