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Europäische Föderation (12. Mai 2000)

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Nun, alle diese Einwände teile ich, denn sie sind richtig. Deshalb wäre es ein nicht wieder gut zu machender Konstruktionsfehler, wenn man die Vollendung der politischen Integration gegen die vorhandenen nationalen Institutionen und Traditionen und nicht unter deren Einbeziehung versuchen würde. Ein solches Unternehmen müßte unter den historisch-kulturellen Bedingungen Europas scheitern. Nur wenn die europäische Integration die Nationalstaaten in eine solche Föderation mitnimmt, wenn deren Institutionen nicht entwertet oder gar verschwinden werden, wird ein solches Projekt trotz aller gewaltigen Schwierigkeiten machbar sein. Anders gesagt: die bisherige Vorstellung eines europäischen Bundesstaates, der als neuer Souverän die alten Nationalstaaten und ihre Demokratien ablöst, erweist sich als ein synthetisches Konstrukt jenseits der gewachsenen europäischen Realitäten. Die Vollendung der europäischen Integration läßt sich erfolgreich nur denken, wenn dies auf der Grundlage einer Souveränitätsteilung von Europa und Nationalstaat geschieht. Genau dieses Faktum aber steckt hinter dem Begriff der „Subsidiarität“, der gegenwärtig allenthalben diskutiert und von kaum jemandem verstanden wird.

Was hat man sich nun unter dem Begriff der „Souveränitätsteilung“ vorzustellen? Wie gesagt, Europa wird nicht in einem leeren politischen Raum entstehen, und ein weiteres Faktum unserer europäischen Realität sind deshalb die unterschiedlichen politischen Nationalkulturen und deren demokratische Öffentlichkeiten, getrennt zudem noch durch die allfälligen Sprachgrenzen. Ein europäisches Parlament muß deswegen immer ein Doppeltes repräsentieren: ein Europa der Nationalstaaten und ein Europa der Bürger. Dies wird sich nur machen lassen, wenn dieses europäische Parlament die unterschiedlichen nationalen politischen Eliten und dann auch die unterschiedlichen nationalen Öffentlichkeiten tatsächlich zusammenführt.

Dies läßt sich meines Erachtens erreichen, wenn dieses europäische Parlament über zwei Kammern verfügt, wobei eine Kammer durch gewählte Abgeordnete besetzt wird, die zugleich Mitglieder der Nationalparlamente sind. So wird es keinen Gegensatz zwischen nationalen Parlamenten und europäischem Parlament, zwischen Nationalstaat und Europa geben. Bei der zweiten Kammer wird man sich zwischen einem Senatsmodell mit direktgewählten Senatoren der Mitgliedsstaaten oder einer Staatenkammer analog unseres Bundesrates zu entscheiden haben. In den USA wählen alle Staaten zwei Senatoren, in unserem Bundesrat hingegen gibt es eine unterschiedliche Stimmenzahl.

Ebenso stellen sich für die europäische Exekutive, die europäische Regierung, zwei Optionen. Entweder entscheidet man sich für die Fortentwicklung des Europäischen Rats zu einer europäischen Regierung, d.h. die europäische Regierung wird aus den nationalen Regierungen heraus gebildet, oder man geht, ausgehend von der heutigen Kommissionsstruktur, zur Direktwahl eines Präsidenten mit weitgehenden exekutiven Befugnissen über. Man kann sich hier aber auch verschiedene Zwischenformen dazu denken.

Nun wird es den Einwand geben, daß Europa ja bereits heute viel zu kompliziert und für die Unionsbürger viel zu undurchschaubar geworden sei, und nun wolle man es noch komplizierter machen. Aber genau das Gegenteil wird hier intendiert. Die Souveränitätsteilung von Föderation und Nationalstaaten setzt einen Verfassungsvertrag voraus, der festlegt, was europäisch und was weiterhin national geregelt werden soll. Die Vielzahl von Regelungen auf EU-Ebene sind mit das Ergebnis der induktiven Vergemeinschaftung nach der Methode Monnet und Ausdruck zwischenstaatlicher Kompromisse im heutigen Staatenverbund EU. Die klare Zuständigkeitsregelung zwischen Föderation und Nationalstaaten in einem europäischen Verfassungsvertrag sollte die Kernsouveränitäten und nur das unbedingt notwendig europäisch zu Regelnde der Föderation übertragen, der Rest aber bliebe nationalstaatliche Regelungskompetenz. Dies wäre eine schlanke und zugleich handlungsfähige Europäische Föderation, voll souverän und doch auf selbstbewußten Nationalstaaten als Glieder dieser Föderation beruhend. Zudem wäre dies auch eine Föderation, die von den Bürgern durchschaut und verstanden würde, weil sie ihr Demokratiedefizit überwunden hätte.

Dies alles wird aber nicht die Abschaffung des Nationalstaates bedeuten. Denn auch für das finale Föderationssubjekt wird der Nationalstaat mit seinen kulturellen und demokratischen Traditionen unersetzlich sein, um eine von den Menschen in vollem Umfang akzeptierte Bürger- und Staatenunion zu legitimieren. Dies sage ich gerade mit Blick auf unsere Freunde in Großbritannien, denn ich weiß, daß der Begriff „Föderation“ für viele Briten ein Reizwort ist. Aber mir fällt bis heute kein anderer Begriff ein. Es soll hier niemand gereizt werden.

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