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Europäische Föderation (12. Mai 2000)

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Meine Damen und Herren,

die Bewältigung dieser zwei Aufgaben steht im Zentrum der aktuellen Regierungskonferenz. Die EU hat sich verpflichtet, bis zum 1.1. 2003 aufnahmefähig zu sein. Nach dem Abschluss der Agenda 2000 geht es nun darum, die institutionellen Voraussetzungen für die nächste Erweiterungsrunde herzustellen. Die Lösung der drei Kernfragen – Zusammensetzung der Kommission, Stimmgewichtung im Rat und ganz besonders der Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen – ist unverzichtbar für eine reibungslose Fortsetzung des Erweiterungsprozesses. Ihr kommt deshalb jetzt als nächster zu lösender praktischer Schritt unbedingte Priorität zu.

So zentral die Regierungskonferenz für die Zukunft der EU als nächster Schritt auch immer ist, so müssen wir angesichts der Lage Europas gleichwohl schon heute damit beginnen, uns über den Prozess der Erweiterung hinaus Gedanken zu machen, wie eine künftige „große" EU einmal funktionieren kann, wie sie deshalb aussehen und funktionieren müßte. Und das will ich jetzt tun.

Gestatten Sie mir deshalb, meine Damen und Herren, dass ich jetzt „den Außenminister“ definitiv weit hinter mir lasse, um einige Überlegungen sowohl über das Wesen der sogenannten „Finalität Europas“ anzustellen als auch darüber, auf welchem Weg wir uns diesem Ziel annähern und es schließlich erreichen können. Und auch allen Euroskeptikern diesseits und jenseits des Kanals sei empfohlen, jetzt nicht gleich wieder die dicksten Schlagzeilen zu produzieren, denn: Erstens handelt es sich um eine persönliche Zukunftsvision von der Lösung der europäischen Probleme. Und zweitens reden wir hier über einen langfristigen Zeitraum, weit jenseits der laufenden Regierungskonferenz. Niemand muß sich also vor diesen Thesen fürchten.

Die Erweiterung wird eine grundlegende Reform der europäischen Institutionen unverzichtbar machen. Wie stellt man sich eigentlich einen Europäischen Rat mit dreißig Staats- und Regierungschefs vor? Dreißig Präsidentschaften? Wie lange werden Ratssitzungen dann eigentlich dauern? Tage oder gar Wochen? Wie soll man in dem heutigen Institutionengefüge der EU zu Dreißig Interessen ausgleichen, Beschlüsse fassen und dann noch handeln? Wie will man verhindern, daß die EU damit endgültig intransparent, die Kompromisse immer unfaßlicher und merkwürdiger werden, und die Akzeptanz der EU bei den Unionsbürgern schließlich weit unter den Gefrierpunkt sinken wird?

Fragen über Fragen, auf die es allerdings eine ganz einfache Antwort gibt: den Übergang vom Staatenverbund der Union hin zur vollen Parlamentarisierung in einer Europäischen Föderation, die Robert Schuman bereits vor 50 Jahren gefordert hat. Und d.h. nichts geringeres als ein europäisches Parlament und eine ebensolche Regierung, die tatsächlich die gesetzgebende und die exekutive Gewalt innerhalb der Föderation ausüben. Diese Föderation wird sich auf einen Verfassungsvertrag zu gründen haben.

Mir ist wohl bewußt, welche Prozedur- und Substanzprobleme es bis zur Erreichung dieses Ziels zu überwinden gilt. Es ist aber für mich völlig klar, dass Europa seine ihm gemäße Rolle im wirtschaftlichen und politischen globalen Wettbewerb nur dann wird spielen können, wenn wir mutig vorangehen. Mit den Ängsten und Rezepten des 19. und 20. Jahrhunderts können die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht gelöst werden.

Freilich erhebt sich gegen diese einfache Lösung sofort der Vorwurf der nicht vorhandenen Machbarkeit. Europa sei kein neuer Kontinent, sondern voll mit unterschiedlichen Völkern, Kulturen, Sprachen und Geschichten. Die Nationalstaaten seien nicht wegzudenkende Realitäten, und je mehr die Globalisierung und Europäisierung bürgerferne Superstrukturen und anonyme Akteure schaffen, umso mehr werden die Menschen an ihren Sicherheit und Geborgenheit vermittelnden Nationalstaaten festhalten.

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