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Moses Mendelssohn, Antwort an Johann Caspar Lavater (1769)

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Wäre nach diesem vieljährigen Forschen die Entscheidung nicht völlig zum Vortheile meiner Religion ausgefallen; so hätte sie nothwendig durch eine öffentliche Handlung bekannt werden müssen. Ich begreiffe nicht, was mich an eine, dem Ansehen nach so überstrenge, so allgemein verachtete Religion fesseln könnte, wenn ich nicht im Herzen von ihrer Warheit überzeugt wäre. Das Resultat meiner Untersuchungen mochte seyn, welches man wollte, so bald ich die Religion meiner Väter nicht für die wahre erkannte; so mußte ich sie verlassen. Wäre ich im Herzen von einer andern überführet; so wäre es die verworfenste Niederträchtigkeit, der innerlichen Ueberzeugung zum Trotz, die Warheit nicht bekennen zu wollen. Und was könnte mich zu dieser Niederträchtigkeit verführen? Ich habe schon bekannt, daß in diesem Falle Klugheit, Warheitsliebe und Redlichkeit mich denselben Weg führen würden.

Wäre ich gegen beide Religionen gleichgültig, und verlachte oder verachtete in meinem Sinne alle Offenbarung; so wüßte ich gar wohl, was die Klugheit räth, wenn das Gewissen schweiget. Was könnte mich abhalten? — Furcht für meine Glaubensgenossen? — Ihre weltliche Macht ist allzu geringe, als daß sie mir fürchterlich seyn könnte. — Eigensinn? Trägheit? Anhänglichkeit an gewohnte Begriffe? — Da ich den größten Theil meines Lebens der Untersuchung gewiedmet; so wird man mir Ueberlegung genug zutrauen, solchen Schwachheiten nicht die Früchte meiner Untersuchungen aufzuopfern.

Sie sehen also, daß ohne aufrichtige Ueberzeugung von meiner Religion, der Erfolg meiner Untersuchung sich in einer öffentlichen Thathandlung hätte zeigen müssen. Da sie mich aber in dem bestärkten, was meiner Väter ist; so konnte ich meinen Weg im Stillen fortwandeln, ohne der Welt von meiner Ueberzeugung Rechenschaft ablegen zu dürfen. Ich werde es nicht leugnen, daß ich bey meiner Religion menschliche Zusätze und Misbräuche wargenommen, die leider! ihren Glanz nur zu sehr verdunkeln. Welcher Freund der Warheit kann sich rühmen, seine Religion von schädlichen Menschensatzungen frey gefunden zu haben? Wir erkennen ihn alle, diesen vergiftenden Hauch der Heucheley und des Aberglaubens, so viel unserer sind, die wir die Warheit suchen, und wünschen ihn, ohne Nachtheil des Wahren und Guten, abwischen zu können. Allein von dem Wesentlichen meiner Religion bin ich so fest, so unwiderleglich versichert, als Sie, oder Hr. Bonnet nur immer von der Ihrigen seyn können, und ich bezeuge hiermit vor dem Gott der Warheit, Ihrem und meinem Schöpfer und Erhalter, bey dem Sie mich in Ihrer Zuschrift beschworen haben, daß ich bey meinen Grundsätzen bleiben werde, so lange meine ganze Seele nicht eine andere Natur annimmt. Die Entferntheit von Ihrer Religion, die ich Ihnen und Ihren Freunden zu erkennen gegeben, hat seit der Zeit nichts abgenommen, und die Hochachtung für den moralischen Charakter des Stifters? – Sie hätten die Bedingung nicht verschweigen sollen, die ich ausdrücklich hinzugethan habe; so hätte ich auch diese noch jetzo einräumen können. Man muß gewisse Untersuchungen irgend einmal in seinem Leben geendiget haben, um weiter zu gehen. Ich darf sagen, daß dieses in Absicht auf die Religion schon seit etlichen Jahren von mir geschehen ist. Ich habe gelesen, verglichen, nachgedacht, und Partey ergriffen.

Und gleichwohl hätte meinetwegen das Judenthum in jedem polemischen Lehrbuche zu Boden gestürzt, und in jeder Schulübung im Triumph aufgeführt werden mögen, ohne daß ich mich hierüber jemals in einen Streit eingelassen haben würde. Ohne den mindesten Widerspruch von meiner Seite, hätte jeder Kenner oder Halbkenner des Rabbinischen, aus Schartecken, die kein vernünftiger Jude liest noch kennet, sich und seinen Lesern den lächerlichsten Begriff vom Judenthum machen mögen. Die verächtliche Meinung, die man von einem Juden hat, wünschte ich durch Tugend, und nicht durch Streitschriften widerlegen zu können. Meine Religion, meine Philosophie und mein Stand im bürgerlichen Leben geben mir die wichtigsten Gründe an die Hand, alle Religionsstreitigkeiten zu vermeiden, und in öffentlichen Schriften nur von denen Warheiten zu sprechen, die allen Religionen gleich wichtig seyn müssen.

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