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Karl Freiherr vom und zum Stein, Nassauer Denkschrift zur Staatsreform in Preußen (Juni 1807)

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An die Stelle der Bureaukratie muß nicht eine auf kümmerlichen und schwachen Fundamenten beruhende Herrschaft weniger Gutsbesitzer errichtet werden, sondern es kommt die Teilnahme an der Verwaltung der Provinzial-Angelegenheiten sämtlichen Besitzern eines bedeutenden Eigentums jeder Art zu, damit sie alle mit gleichen Verpflichtungen und Befugnissen an den Staat gebunden sind. Auf den Kreistagen erscheinen daher die adligen Gutsbesitzer und Deputierten, so aus den übrigen städtischen und bäuerlichen Kommunitäten gewählt sind; wahlfähig zu den Stellen von Landtags-Deputierten sind aber nur Besitzer eines Eigentums, so eine bedeutende schuldenfreie Rente einträgt.

Die inneren Angelegenheiten der Provinz werden auf den aus den Deputierten der Kreise bestehenden Landtagen verhandelt; hieher gehören z. B. das Provinzial-Gesetzbuch, Milderung und Bestimmung der bäuerlichen Verfassung, innere Polizei, Unterrichts-, Armen-Anstalten, Landesverbesserungen durch Gemeinheitsteilung, Abtrocknung, Wege, Wasserbau usw., endlich Verwilligung der zur Ausführung dieser Entwürfe erforderlichen Gelder aus Provinzial-Fonds. Der Landtag schlägt Deputierte vor, aus denen der König eine verhältnismäßige Anzahl wählt, die als Mitglieder der Kammer-Kollegien die Provinzial-Angelegenheiten bearbeiten, und ziehe ich diese Verbindung der Übertragung gewisser Geschäftszweige an ein besonderes landschaftliches Kollegium vor, weil auf diese Art die zwischen verschiedenen konkurrierenden Behörden notwendigen Reibungen vermieden, Eintracht und ein gemeinschaftlicher Geist erhalten wird. [ . . . ]

Ersparung an Verwaltungskosten ist aber der weniger bedeutende Gewinn, der erhalten wird durch die vorgeschlagene Teilnahme der Eigentümer an der Provinzial-Verwaltung, sondern weit wichtiger ist die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse, der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre.

Der Formenkram und Dienst-Mechanismus in den Kollegien wird durch Aufnahme von Menschen aus dem Gewirre des praktischen Lebens zertrümmert, und an seine Stelle tritt ein lebendiger, fortstrebender, schaffender Geist und ein aus der Fülle der Natur genommener Reichtum von Ansichten und Gefühlen.

Es wird aber so wenig an einer hinlänglichen Zahl geschäftsfähiger Männer in der Klasse der Eigentümer fehlen, als daß die Regierung Ursache hat, durch ihre Zuziehung für die Erhaltung der inneren Ruhe besorgt zu sein. Die Anzahl der gebildeten und verständigen Männer ist in allen Klassen der Einwohner in den alten Provinzen des preußischen Staates so groß, daß es an geschäftsfähigen, mit praktischen Kenntnissen ausgerüsteten Männern, die mit Erfolg dem ihnen angewiesenen Geschäftskreis vorstehen werden, nicht fehlen kann. [ . . . ]




Quelle: Freiherr vom Stein: Briefe und amtliche Schriften. Bearbeitet von Erich Botzenhart. Neu herausgegeben von Walther Hubatsch. Bd. 2. Tl. 1. Neu bearbeitet von Peter G. Thielen. Stuttgart: Kohlhammer,1959, S. 382, 386, 389-95.

Abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789-1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 136-44.

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