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Das Berlin-Ultimatum (27. November 1958)

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Die Regierungen der drei Mächte beanspruchen, daß die längst überlebten Teile der Abkommen der Kriegszeit in Kraft bleiben, durch die die Besatzung Deutschlands geregelt wurde und die ihnen im Vergangenen ein Recht auf Aufenthalt in Berlin gaben. Zu gleicher Zeit verletzen, wie dargelegt wurde, die Westmächte gröblichst die vierseitigen Abkommen einschließlich des Potsdamer Abkommens, das der konzentrierteste Ausdruck der Verpflichtungen der Mächte hinsichtlich Deutschlands ist.

Indessen sind die übrigen Abkommen der vier Mächte über die Besetzung Deutschlands, auf welche sich die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs zur Begründung ihrer Rechte in Westberlin berufen, durch das Potsdamer Abkommen gutgeheißen oder in dessen Entwicklung getroffen worden. Mit anderen Worten, die drei Mächte fordern für sich die Beibehaltung der Besatzungsprivilegien, die auf jenen vierseitigen Abkommen beruhen, welche sie selber mit Füßen getreten haben.

Wenn sich die USA, England und Frankreich tatsächlich in Berlin gemäß dem Recht befinden, das den genannten internationalen Abkommen und vor allem dem Potsdamer Abkommen entspringt, so ergibt sich daraus für sie die Verpflichtung, diese Abkommen einzuhalten.

Derjenige, der diese Abkommen gröblichst verletzt hat, der hat das Recht zur Beibehaltung seiner Besatzungsverhältnisse in Berlin ebenso wie in jedem anderen Teil Deutschlands eingebüßt. Und kann man denn die Beibehaltung der Besatzungsverhältnisse in Deutschland oder in irgendeinem Teil Deutschlands nach mehr als dreizehn Jahren seit Kriegsende verfechten? Jede Besetzung ist ja eine zeitlich begrenzte Erscheinung, was in den Deutschland betreffenden vierseitigen Abkommen direkt ausbedungen wurde.

Es ist gut bekannt, daß die übliche Methode der Beendigung einer Besetzung der Abschluß eines Friedensvertrags durch die im Kriegszustand befindlichen Seiten ist, der dem besiegten Lande Bedingungen gewährt, wie sie für die Wiederherstellung des normalen Lebens erforderlich sind.

Wenn Deutschland bis jetzt keinen Friedensvertrag hat, so tragen die Schuld dafür vor allem die Regierungen der USA, Englands und Frankreichs, bei denen die Idee der Vorbereitung eines solchen Friedensvertrags, wie ersichtlich, niemals Sympathie gefunden hat. Es ist bekannt, daß die Regierungen der drei Mächte jedesmal negativ reagiert haben, wenn die Sowjetregierung sich an sie in Fragen der Vorbereitung des Friedensvertrags mit Deutschland wandte.

Gegenwärtig stemmen sich die USA, England und Frankreich, wie aus ihren Noten vom 30. September dieses Jahres hervorgeht, gegen die neuen Vorschläge hinsichtlich der friedlichen Regelung mit Deutschland, die von der Sowjetunion und der DDR gemacht worden sind, und zugleich machen sie selber keinerlei Vorschläge zu dieser Frage, wie sie solche Vorschläge in der ganzen Nachkriegszeit nicht entwickelt haben. Im Grunde genommen ist die letzte Note der Regierung der USA eine Wiederholung des gleichen als völlig lebensunfähig erwiesenen Standpunkts, demzufolge sich mit der Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands die UdSSR, die USA, Großbritannien und Frankreich zu befassen haben und nicht die deutschen Staaten, die es ja sind, die sich vereinigen sollen. Aus der Note der Regierung der USA geht ferner hervor, daß sie es aufs neue ablehnt, mit der Sowjetunion und den anderen interessierten Staaten in Verhandlungen zwecks Vorbereitung eines Friedensvertrags mit Deutschland einzutreten. Es ergibt sich ein Circulus vitiosus: die Regierung der USA wendet sich gegen die Vorbereitung des deutschen Friedensvertrags unter Berufung darauf, daß kein einheitlicher deutscher Staat besteht, und hindert zugleich die Wiedervereinigung Deutschlands, indem sie die einzig reale Möglichkeit der Lösung dieses Problems durch ein Abkommen zwischen den beiden deutschen Staaten ausschlägt.

Beziehen die Westmächte diesen Standpunkt in der Frage der Vorbereitung des Friedensvertrags nicht etwa deshalb, weil sie ihre Privilegien in Westdeutschland und das Besatzungsregime in Westberlin endlos verlängern wollen? Jetzt wird es immer klarer, daß so eben die Dinge stehen.

Die Sowjetregierung bekräftigt aufs neue ihre Bereitwilligkeit, jederzeit an Verhandlungen teilzunehmen, die der Vorbereitung des Friedensvertrages mit Deutschland gelten. Das Fehlen des Friedensvertrags darf jedoch in keiner Weise zur Rechtfertigung von Versuchen herhalten, das Besatzungsregime in irgendeinem Teil Deutschlands zu wahren.

Die Periode der Besetzung Deutschlands ist seit langem vorbei und die Versuche, sich dem Absterben der besonderen Rechte ausländischer Mächte in Deutschland entgegenzustemmen, werden zu einem gefährlichen Anachronismus. Das Besatzungsregime in Deutschland war niemals Selbstzweck. Es wurde errichtet, um den gesunden Kräften der deutschen Nation zu helfen, auf den Trümmern des militaristischen Deutschland einen neuen friedliebenden und demokratischen Staat zu schaffen.

Im Wunsch, in Frieden und Freundschaft mit dem ganzen deutschen Volk zu leben, hat die Sowjetunion normale diplomatische Beziehungen mit den beiden deutschen Staaten aufgenommen und unterhält diese Beziehungen. Enge freundschaftliche Beziehungen verknüpfen die Sowjetunion und die DDR. Diese Beziehungen wurden in dem Vertrag verankert, der zwischen der Sowjetunion und der DDR am 20. September 1955 geschlossen wurde. Entsprechend dem Vertrag gründen sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf völliger Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung der Souveränität und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten.

Von den gleichen Prinzipien geht die Sowjetregierung auch in ihren Beziehungen zu dem anderen deutschen Staat – zu der Bundesrepublik Deutschland – aus.

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