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Ein Stadtplaner beschreibt das neue Regierungsviertel in Berlin (2001)

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VII. Die Zukunft des Schlossplatzes

Zugleich fällt das Auge auf die Leerstelle des Schlossplatzes und den Palast der Republik, der nach Abschluss der Asbestentfernung vollständig skelettiert sein wird. Die Tatsache, dass sich hier nun keine Büroflächen des Bundes ausbreiten werden, sollte nicht als Hiobsbotschaft, sondern als gute Nachricht begriffen werden. Die geschichtliche Bedeutung dieses Platzes verlangt nicht nach einer doch eher flachen und für die Öffentlichkeit unergiebigen Nutzung durch eine Ministerialverwaltung. Das Nutzungsprogramm für diesen Ort müsste internationale Dimensionen haben, etwa in Gestalt einer ost- und westeuropäische Werte integrierenden Institution. [ . . . ]


IX. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas

Zur Präsenz des Bundes in Berlin gehört auch die von ihm mitgetragene und sehr differenzierte Gedenkstätten- und Erinnerungslandschaft. Damit ist insbesondere die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus gemeint, die zum Kern des staatlichen Selbstverständnisses der Bundesrepublik gehört. In Berlin wird sich dies nicht nur in Form von verbalen Bekenntnissen, Feierstunden und Kofinanzierungen, sondern vor allem in Gestalt des Denkmals für die ermordeten Juden Europas darstellen. Die 1999 getroffene Entscheidung des Deutschen Bundestages für dieses Denkmal kann in gewisser Hinsicht als Pendant zu seinem Berlin-Beschluss von 1991 gesehen werden. Denn damit wird deutlich, dass der Bund in Berlin keinen Neuanfang macht, sondern sich sehr bewusst zu seiner historischen Verantwortung und zur Kontinuität der deutschen Geschichte bekennt.* Das Denkmal wird in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tores entstehen, also an einem Ort, der durch ein Höchstmaß an Öffentlichkeit geprägt ist. Der Entwurf des amerikanischen Architekten Peter Eisenman gibt Grund zu der Annahme, dass hier ein ästhetisch völlig neuer Typus von Kunst im Stadtraum entsteht, der einen höchst attraktiven Raum für die von jedem Einzelnen zu leistende Erinnerungsarbeit bietet.


X. Fazit

Gemessen an den Erwartungen, die in den ersten Jahren an den Umzug des Bundes nach Berlin geknüpft waren, hat seine Präsenz in Berlin weniger bewirkt als angenommen. Die auch von Seiten der privaten Wirtschaft gehegten Hoffnungen, dass sich im Sog des Bundes die ökonomische und demographische Situation der Stadt grundlegend bessern würde, haben getrogen. Ebenso falsch waren die Projektionen eines neuen Zentralismus oder einer Wiederbelebung alter preußischer Zustände. Gerade die städtebauliche Physiognomie des Bundes in Berlin macht deutlich: Berlin organisiert sich als Hauptstadt eines so vorher nie dagewesenen föderalen Staatswesens mit europäischer Perspektive. Diese Restrukturierung wird durch Aneignung und Kultivierung der vorhandenen Räume und Bauten vollzogen. Das Band des Bundes im Spreebogen bleibt die einzige städtebauliche Großintervention des Bundes, deren Vollendung jedoch mehr Zeit braucht und die ohne Einbeziehung anderer Entwicklungskräfte ihre städtischen Qualitäten nicht wird entfalten können. In der Alten Mitte trägt die Präsenz des Bundes zur Stadtwerdung bei, füllt potenzielle Leerstellen aus und verbessert die Lesbarkeit der historischen Entwicklung. Schließlich leistet das Hinzutreten des Bundes auch für die Gesamtstadt etwas Großartiges: Durch die Stärkung seiner Ränder wird der Tiergarten zur grünen Mitte der Stadt.

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*Vgl. Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Informationsblatt, Berlin 2000.



Quelle: Günter Schlusche, „Die Parlaments- und Regierungsbauten des Bundes im Kontext der Berliner Stadtentwicklung“, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 34-35, 2001.

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