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Ein Stadtplaner beschreibt das neue Regierungsviertel in Berlin (2001)

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Band des Bundes ohne Forum?

Während die „harten“ Elemente des Bandes, also das Kanzleramt und die Parlamentsbauten, praktisch fertig gestellt sind, ist das Kernstück des Schultes-Frank-Entwurfs, das Forum des Bundes, bis heute eine Idee geblieben. Weder die alte noch die neue Bundesregierung oder der Bundestag haben der in keinem Programm vorgegebenen, aber gleichwohl sinnfälligen Idee von Schultes und Frank, hier ein Forum für den Austausch zwischen gesellschaftlicher Öffentlichkeit und parlamentarisch-politischem Leben zu konzipieren, etwas abgewinnen können. [ . . . ] Mit durchaus hohen Erwartungen kann nach Abschluss der Tiefbauarbeiten im Spreebogen nun der Fertigstellung der großen Landschaftsräume entgegengesehen werden. Der vom Reichstagsgebäude bis zum Haus der Kulturen der Welt reichende Platz der Republik bietet ein Wechselspiel zwischen offenen Wiesen- bzw. Heckenbereichen und großzügigen Baumlandschaften. Die Fläche des Forums zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus wird durch Wasserspiele und Natursteinfelder hervorgehoben, während die durch Bäume gestalteten Randbereiche die Spur des Bundesbands wahren. [ . . . ]

Mit seiner Fertigstellung im Mai 2001 ist das Kanzleramt zum Gegenstand einer kontroversen architektonischen Debatte geworden, die in einer Reihe von Argumenten jedoch auf das nun zu Tage getretene städtebauliche Dilemma abzielt.* Die beiden Großbauten des Bundeskanzleramtes und des gerade bezogenen Paul-Löbe-Hauses liegen in einer nicht einfach überbrückbaren Distanz zueinander und machen die Vorstellung eines Bandes zum Fragment. Zudem sind sie ein wenig aus der Balance geraten. Das Kanzleramt, das Schultes und Frank schon bei ihrer ersten Überarbeitung in der Höhenwirkung differenzierten, überragt nun mit seinem 36 m hohen quadratischen Leitungsbau die seitlichen, das Band markierenden Verwaltungsflügel um fünf Geschosse. Sein östliches Gegenüber, der Bundestagsbau von Stephan Braunfels, bleibt in der Höhenentwicklung konstant und vollzieht den Sprung auf das Ostufer der Spree in den gleichen baulichen Dimensionen. Die Fortsetzung des Bandes nach Westen besteht hingegen aus dem von Sockelwänden eingefassten Kanzlerpark, den man über eine doppelstöckige Brücke erreicht. Im Osten dagegen wird die Figur des Bandes durch den nördlich des Braunfels-Baus entstandenen Neubau einer Kindertagesstätte von Gustav Peichl für die Bundestagsbediensteten undeutlich macht.


Der Städtebau des Spreebogens

Ein gravierenderes Monitum ist die fehlende städtebauliche Einbindung der Teile des Bandes nach Norden hin. Schultes und Frank sind in ihren Entwürfen immer davon ausgegangen, dass am Moabiter Nordufer der Spree ein kompaktes Stadtquartier um einen großvolumigen neuen Lehrter Fernbahnhof entstehen wird. Dies war die bereits 1992 verkündete feste Absicht der Deutschen Bahn, die von der Stadt trotz gewisser Bedenken mitgetragen wurde. Zur Verwirklichung dieser Planung wird es auf absehbare Zeit nicht kommen. Seit 1994 baut die Bahn an dem unterirdischen Tunnelbauwerk der Nord-Süd-Bahntrasse, die nicht nur die Spree, sondern auch den Tiergarten, den Potsdamer Platz und den Landwehrkanal unterqueren wird. Die Fertigstellung des Groß-Bahnhofs am Kreuzungspunkt mit der oberirdischen Ost-West-Trasse der Stadtbahn wird sich, wenn er denn in der geplanten Konzeption mit zwei den Gleiskörper überspannenden „Bürobügeln“ realisiert werden sollte, mindestens bis 2006 verzögern. [ . . . ]



* Vgl. Hanno Rauterberg, „Pathos für die Republik“, in Die Zeit, Nr. 18 vom 26. 4. 2001 S. 41 f.; Sebastian Redecke, „Auf der Bühne der Politik“, in Bauwelt, Nr. 22 vom 8. 6. 2001; Heinrich Wefing, „Das Ende der Bescheidenheit“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 4. 2001, S. 52 f.

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