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Geheimer Bericht der sowjetischen Militärführung über die Ereignisse vom 17.-19. Juni 1953 (24. Juni 1953)

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Nachdem es von der Demonstration und den Forderungen der Arbeiter erfahren hatte, beschloss das ZK des SED-Politbüros in einer Sitzung, die zu jener Zeit stattfand, die Erhöhung der Produktivitätsnormen rückgängig zu machen und schickte das ZK Politbüro-Mitglied [Heinrich] Rau zu einem Treffen mit den Arbeitern. Es wurde Rau und anderen Regierungsmitgliedern jedoch von den Provokateuren nicht erlaubt, zu reden, sie übertönten sie mit Rufen, dass [DDR Premierminister Otto] Grotewohl oder [DDR-Präsident Wilhelm] Pieck zu den Arbeitern sprechen sollten. Die Ankündigung bezüglich der Rücknahme der Produktionsnormenerhöhung wurde über einen Lautsprecher gemacht. Als sie diese Ankündigung hörten, begannen die Bauarbeiter, sich zu zerstreuen, die West-Berliner Provokateure begannen jedoch, sie dazu aufzuhetzen, sich nicht einfach mit einer Rücknahme der Normenerhöhung zufriedenzugeben, sondern eine Absenkung der alten Normen zu fordern, ebenso wie eine Senkung der Preise in der KhO, den Rücktritt der DDR-Regierung und das Abhalten gesamtdeutscher Wahlen. Die Mehrheit der Bauarbeiter ließ sich durch diese Provokationen nicht beeinflussen und strömte nach kurzer Zeit vom Regierungssitz weg. Eine geringe Zahl von Bauarbeitern wurde von den West-Berliner Provokateuren in nahegelegene Kneipen und Gaststätten geführt, wo ihnen Wodka serviert wurde, während man sie zu weiteren Aktionen ermunterte.

Während des Tages am 16. Juni gab es einen merklichen Anstieg der Aktivität kleiner Gruppen von Provokateuren in verschiedenen Teilen Ost-Berlins, die antidemokratische Agitation unter der Bevölkerung betrieben. In zahlreichen Betrieben in Ost-Berlin und der DDR wurde ein Slogan von West-Berlin ausgeschickt, der zu einem sofortigen Streik in Solidarität mit den Bauarbeitern Berlins aufrief, ebenso wie ein Slogan, der zu einem Generalstreik am 17. Juni aufrief. Am Abend des 16. Juni wurde in West-Berlin eine Sonderausgabe der Abendzeitung „Der Abend“ mit Aufrufen zum Generalstreik in der Ostzone Deutschlands veröffentlicht. Gegen Ende des Tages am 16. Juni begannen sich in zahlreichen Unternehmen Solidaritätsstreiks auszubreiten.

Am Abend des 16. Juni wurde die Situation in Berlin schwieriger. Um 20.00 Uhr wurde eine außerordentliche Sitzung der aktivsten Mitglieder der Berliner SED-Organisationen abgehalten, auf der Ulbricht und Grotewohl in Anwesenheit des gesamten ZK des SED-Politbüros Reden zum neuen Kurs der Partei und der Regierung hielten. Die Stimmung der aktiven Parteimitglieder war nach Angaben von Mitgliedern des Politbüros gut. Die DDR-Führung sagte jedoch kein Wort zu den Streiks, die in der Stadt vor sich gingen und gab keinen Hinweis darauf, welchen Kurs die aktiven Parteimitglieder in der nahen Zukunft einschlagen sollten. Zu dieser Zeit begannen Mengen von West-Berlinern, die hauptsächlich aus Jugendlichen bestanden, sowohl in Straßenbahnwagen und anderen Transportmitteln als auch zu Fuß einzutreffen. Eine Menschenmenge von 4-5 Tausend bewegte sich in Richtung Friedrichstadtpalast, wo eine Sitzung der aktiven Parteimitglieder stattfand, wodurch die Gefahr entstand, dass die Mitglieder des ZK des SED-Politbüros zu Geiseln werden könnten. Gleichzeitig begann in der Stalinallee im Stadtzentrum eine Menge von West-Berlinern, die etwa 2 Tausend zählte, Steine auf das Denkmal Genosse Stalins zu werfen und zum Sturz der DDR-Regierung aufzurufen. Es gab ebenfalls Rufe einzelner Provokateure, die zum Töten von Russen aufriefen.

Die DDR-Polizei schritt in Befolgung ihrer Anweisungen nicht in diese Ereignisse ein. Die Maßnahmen, die wir ergriffen (die Entsendung von Polizeireservetruppen zum Friedrichstadtpalast), genügten, um die Menge zu zerstreuen, die sich in Richtung Friedrichstadtpalast bewegte, ebenso wie den Pöbel auf der Stalinallee. Anschließend begannen verschiedene Gruppen von Provokateuren und Banditen, hauptsächlich aus West-Berlin, an verschiedenen Orten im sowjetischen Sektor Berlins zu randalieren, Autos umzustoßen, Geschäfte und Wohnungen von SED-Aktivisten auf der Stalinallee zu plündern, den Straßenverkehr aufzuhalten und zu versuchen, in das Gaswerk und andere wichtige Stadtwerke einzubrechen. Diese Gewaltakte wurden von Gruppen verübt, die zusammen etwa 1.5-2 Tausend Menschen ausmachten.

Am späten Abend des 16. Juni trafen wir uns mit der Führung des ZK der SED (Grotewohl, Ulbricht, [Geheimpolizeichef Wilhelm] Zaisser, [SED-Politbüro-Mitglied Rudolf] Herrnstadt). Wir lenkten ihre Aufmerksamkeit auf die scheinbar ernste Natur der Unruhen, die sich in der Stadt abgespielt hatten und wiesen darauf hin, dass die Slogans, die zum Generalstreik aufriefen und von den Provokateuren am Ende des Tages verworfen wurden, eine positive Aufnahme in den Unternehmen in Ost-Berlin und einigen anderen Orten in der DDR fanden. Ebenfalls wiesen wir darauf hin, dass es notwendig sei, ganz entschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um am 17. Juni Ordnung in der Stadt zu wahren, da man einen massiven Zustrom an Gruppen von Provokateuren von West-Berlin nach Ost-Berlin erwarten könne. Wie informierten unsere Freunde über unsere Entscheidung, sowjetische Streitkräfte nach Berlin zu entsenden. Unsere Freunde verkündeten, dass sie die Situation nicht für so ernst hielten, als dass sie solch außergewöhnliche Maßnahmen rechtfertigte und dass man ihrer Meinung nach am 17. Juni keine ernsthaften Unruhen in der Stadt erwarten solle, obwohl sie die Möglichkeit eines leichten Anstiegs der Unruhen im Vergleich zum 16. Juni nicht ausschlossen. Sie bewerteten die Situation in der DDR recht optimistisch. Wie wiesen gegenüber der DDR-Führung darauf hin, dass es notwendig sei, in höchstem Maße vorbereitet zu sein und schlugen vor, Abteilungen der Kasernierten Volkspolizei in Potsdam und Oranienburg herbeizurufen, was sie am Morgen des 17. Juni taten.

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