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Ein liberaler Intellektueller beschreibt die „Last, Deutscher zu sein” (2. September 1983)

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Stolzer Patriotismus

Und wo bleiben die Deutschen, die lieber Engländer oder Franzosen wären oder, wenn Engländer und Franzosen nur mitmachen wollten, „Europäer“?

Eine Tatsache, über die immer einmal wieder nachzudenken sich lohnt, ist die, daß es ein sowohl verbindliches wie verbindendes Deutsch-Bewußtsein unter Deutschen heute tatsächlich nicht gibt. Wer von uns wollte denn Deutscher sein „aus Buße“, von Unbußfertigen rings umgeben?

Historisch gesehen, gab es bis 1871 Bayern und Badener, Sachsen und Preußen (und viele andere). Ein eben sich entwickelndes und dann, auf deutsche Art, gleich wieder übertriebenes Nationalbewußtsein wurde vom Überschwang 1914 auf den Nullpunkt 1918 gebracht. Die Demokratie von Weimar war durch Versailles eine Demokratie zweiter Klasse und kein Grund, sehr stolz darauf zu sein. Wieviel Hitler und seine Helfer davon profitiert haben, daß sie sich von einem wieder entstehen wollenden deutschen Nationalbewußtsein tragen lassen konnten, sollte von den Zeithistorikern stärker berücksichtigt werden. Für einige Deutsche bedeutete der Nationalsozialismus das Ende ihrer Identifizierungsmöglichkeiten mit dem gegenwärtigen Deutschland; für die meisten waren es dann die Katastrophen des Krieges und das Diktat der „Sieger-Mächte“, die zum völligen Verlöschen des Gefühls „Ich bin ein Deutscher“ führten. Es gibt keinen wehleidigen, es gibt nur einen stolzen Patriotismus. Und der ist bei uns in der Tat so fremd wie in keinem anderen Staat Europas.

Psychologisch gesehen, haben wir keine nationale Identität, mit der sich jemand, der 1945 ein Kind oder noch gar nicht geboren war, identifizieren könnte. Diese Bundesrepublik ist ja, nehmt alles nur in allem, kein schlechter Staat, vielleicht wirklich der beste, den es je auf deutschem Boden gegeben hat. Aber wer vermag sich denn als „Bundesrepublikaner“ zu fühlen? Da war es doch wirklich noch leichter, in den späten vierziger Jahren, trotzig gegen die Besatzungsmächte, als „Eingeborener von Trizonesien“ aufzutreten.

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