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Ein schwieriger Balanceakt: Der Besuch Honeckers (11. September 1987)

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Fricke: Sie erwähnten eben die Geraer Forderungen schon. Sie haben offenbar in dem zweitägigen Meinungsaustausch in Bonn keine Rolle mehr gespielt, weil die Grundpositionen auf beiden Seiten klar waren?

Prof. Scholz: Die Geraer Forderungen haben tatsächlich keine Rolle gespielt. Die Bundesregierung hat keinerlei Zweifel daran gelassen – im Vorfeld wie bei den Gesprächen selbst –, daß über Staatsangehörigkeitsfragen, Umwandlung der Ständigen Vertretungen, über alle Fragen, die die Offenheit der Deutschen Frage insgesamt in Zweifel ziehen können, mit ihr nicht zu reden sein wird. Dies hat die andere Seite verstanden. Man hat im Grunde auch von der anderen Seite her sehr deutlich gemacht, daß man an praktischen Lösungen, an praktischen Fortschritten interessiert ist, daß man sich nicht in Grundsatzforderungen wechselseitig überfordern will. Das ist ein vernünftiger, realistischer Kurs, und er gibt einigen Anlaß für Optimismus in der weiteren Zukunft.

Fricke: Der Bundeskanzler hat im Bundestag betont, daß Berlin voll einzubeziehen sei in alle Regelungen zwischen beiden deutschen Staaten. Halten Sie es für denkbar, daß die DDR die Bindungen Berlins an den Bund in Zukunft stärker respektiert oder toleriert?

Prof. Scholz: Die DDR hat immer wieder Schwierigkeiten zu machen versucht, wenn es um die Einbeziehung Berlins in innerdeutsche Vereinbarungen ging. Das gleiche versuchen die Ostblockstaaten in ihrer Gesamtheit. Dies ist natürlich immer eine Strategie gewesen, die das, was im Viermächteabkommen über Berlin garantiert ist, in Zweifel ziehen sollte, nämlich: nicht nur die gegebenen Bindungen Berlins zum Bund zu gewährleisten, sondern diese Bindungen auch weiterzuentwickeln. Das ist eine Politik, die nicht hinnehmbar ist. Sie ist vertragswidrig. Dies ist auch deutlich gemacht worden, gerade indem der Bundeskanzler sehr klar gesagt hat – vor dem Bundestag, aber auch während der Gespräche –: Wenn die DDR wirkliche Fortschritte im innerdeutschen Verhältnis haben will, dann geht das nicht an Berlin vorbei, sondern dann geht das nur mit Berlin und vor allem auch für Berlin. Ich glaube, daß diese sehr klaren Worte verstanden worden sind. Berlin bleibt in der Tat auch insoweit die Nagel- und Bewährungsprobe, wie ich es vorhin schon formuliert habe, für die weitere Zusammenarbeit, für den weiteren Dialog zwischen den beiden Staaten in Deutschland.

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Quelle: Karl Wilhelm Fricke, „Interview mit Senator Scholz über den Besuch Honeckers“, Deutschland Archiv 20, Nr. 10 (1987), S. 1116-20. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Deutschland Archivs.

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