GHDI logo

Joschka Fischer wird erster grüner Umweltminister (4. November 1985)

Seite 2 von 5    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Industriemanager qualifizieren den designierten Minister als Industrie-Schreck ab. Sie drohen mit Investitionsstopp in Hessen und kündigen die Flucht von Unternehmern in benachbarte Bundesländer an. Mit Joschka Fischer, begründet Hans Joachim Langmann, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und Chef des Darmstädter Chemiekonzerns Merck, die Angst des Kapitals vor dem Grünen, komme „jemand an die Schalthebel der politischen Macht, der sich bisher in allen seinen Äußerungen wirtschafts- und industriefeindlich gezeigt“ habe.

Bundeskanzler Helmut Kohl wollte nicht einmal den Namen des Minister-Kandidaten in den Mund nehmen. Er sei „sehr gespannt“, höhnte der Regierungschef, „wie sich dieses Bundestagsgenie, wie heißt er doch gleich“, als Minister machen werde. Das hessische Modell, auf Bonn übertragen, prophezeite CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, werde zum „Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft“ führen.

„Hessen“, schrieb die „Frankfurter Allgemeine", sei „nicht nur in Gefahr, die Gegenwart zu verspielen, sondern vor allem auch die Zukunft“. „Bild“ jammerte: „Wir haben Angst um Hessen.“

Skepsis selbst bei Roten und Grünen: NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Johannes Rau, ein erklärter Gegner der Alternativen, beschwerte sich, Börner habe ihm das Wahlkampfkonzept vermasselt. SPD-Gewerkschafter Hermann Rappe warnte, der neue Bündnispartner sei „auf Dauer für die Arbeitnehmer schädlich“.

Grünen-Vorsitzender Rainer Trampert, ein Fundamentalist, sagte den „Bruch“ seiner Partei „mit Teilen der sozialen Bewegung“ voraus. An der Frankfurter Uni bewarfen Autonome die koalitionswilligen Alt-Linken Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer mit Eiern und stellten sie in eine Reihe mit dem hessischen Innenminister Horst Winterstein, dem sie die Schuld am Tod des Demonstranten Günter Sare geben: „Fischer, Bendit, Winterstein – eins ist wie das andere Schwein.“

Fischers politisches Geschick bestimmt fortan auch den Weg der Grünen. Weist der erste alternative Minister der Republik nach, daß grüne Umweltpolitik im Regierungsalltag umsetzbar ist, kann seine Partei mit neuem Zulauf rechnen. Geht Fischer unter, könnte sich der Niedergang der Alternativen, die zuletzt im Saarland (2,5 Prozent) und in Nordrhein-Westfalen (4,6 Prozent) gescheitert waren, noch beschleunigen.

Ein Straßenkämpfer, der sich zum Realpolitiker gewandelt hat, der erst Bundestagsabgeordneter und dann Minister wird, das ist nach jahrelanger Ämterverweigerung auch ein Indiz für den Reifungsprozeß der jüngsten westdeutschen Partei. Sechs Jahre nach ihrer Gründung hat sich die „Antipartei-Partei“ (Petra Kelly) dazu durchgerungen, aus der rechnerischen „Mehrheit diesseits der Union“ (Willy Brandt) auch eine politische zu machen.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite