Daß seine Mordlust als Geistesstörung aufzufassen ist, zeigen einige Geschichten, die uns überliefert sind, wie er seiner Gattin oder seiner Geliebten nicht den Hals küßte, ohne davon zu sprechen, daß dieser schöne Nacken, sobald er es befehle, durchschnitten werde (75), oder wie er beim fröhlichen Mahle in unbändiges Gelächter ausbrach bei dem Gedanken, daß es nur eines Winkes bedürfe, um den beiden Konsuln, die neben ihm lagen, die Kehlen abzuschneiden (76). Dem römischen Volke wünschte er (der Ausspruch ist ja berühmt geworden) einen einzigen Hals, um es mit einem Streiche köpfen zu können (77). Solche Gedanken und noch viel schlimmere, nicht nur einfach blutdürstige Neigungen, sondern auch die ausgesuchtesten Marter-Ideen setzten sich in eine Unzahl grausiger Thaten um, die er vielfach mit cynischen Witzen begleitete (78). Die Einzelheiten sind zu scheußlich, um darauf einzugehen.
Genug, ganz Rom setzte er damit in Schrecken, und doch ermannte sich dieses Rom nicht, das Joch des Kranken, der wie ein Bluthund wütete, von sich abzuschütteln. Der Senat wagte nicht, ihn abzusetzen oder eine Regentschaft zu beschließen. Nicht durch einen Akt der politischen Körperschaften wurde er beseitigt, sondern es bedurfte einer Verschwörung, die in dem persönlichen Rachebedürfnis eines schwer beleidigten Obersten seiner Leibwache, des Cassius Chärea, ein williges Werkzeug fand (79).
So tief gesunken war der Staat, an dessen Pforten damals so drohend das Barbarentum eines noch jugendkräftigen Volkes pochte. Wenn wir darauf jetzt vom sichern Port zurückblicken, dann dürfen wir trotz allem wohl sagen, daß wir doch heute, wo die materielle Kultur und der Luxus der oberen Klassen sich wieder mit den Zuständen der römischen Kaiserzeit vergleichen lassen, politisch ein schönes Stück weiter gekommen sind, — freilich liegen auch mehr als 1800 Jahre dazwischen —; denn etwas, was diesem Cäsarentum und dieser Herrschaft des Cäsarenwahnsinns ähnlich wäre, ist unter den heutigen Verhältnissen so völlig unmöglich, daß uns die ganze Schilderung wie ein kaum glaubliches Phantasiegemälde oder wie eine übertriebene Satire römischer Schriftsteller auf das zeitgenössische Cäsarentum anmuten wird, während sie nach dem heutigen Stande unserer Quellenforschung in allen wesentlichen Zügen trockene historische Wahrheit ist.
(75) Sueton 33.
(76) Sueton 32.
(77) Sueton 30. Dio Cassius 59, 13; 30.
(78) Sueton 29; 30.
(79) Sueton 58. Dio Cassius 59, 29. — Am ausführlichsten: Josephus, Antiq. XIX, 13.
Quelle: Ludwig Quidde, Caligula: Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn (1894). 25. Auflage. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1896, S. 3-20.