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Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft (1887). Vorrede zur 2. Auflage (1912)

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Die 'Restauration der Staatswissenschaften' — um unter diesem berufenen Titel die historische Rechtsschule mitzubegreifen — wollte dem Naturrecht, und hier vor allem der rationalen individualistischen Staatskonstruktion (der Vertragstheorien) den Garaus machen, und das ist — zumal was die öffentliche 'akademische' Vertretung solcher Doktrinen betrifft — gelungen; wenigstens in Deutschland. Denn in England knüpfte vielmehr die Theorie der Gesetzgebung und die analytische Jurisprudenz in Bentham und Austin bewußt an Thomas Hobbes wieder an. In den romanischen Ländern, in Rußland, Amerika, blieb das Naturrecht als liberale Rechtsphilosophie mehr oder minder in Geltung.

Inzwischen ist die Rechtsphilosophie auch in Deutschland, so sehr sie als Hochschul-Disziplin in den Hintergrund trat, doch nicht völlig vernachlässigt gewesen. Wie die historische Schule, die von dem Skeptiker Hugo und dem Katholiken Savigny eingeführt war, durch die zuletzt genannten Romantiker, so knüpfte auch des geborenen Juden Stahl protestantisch-konservatives System an die ursprünglich pantheistische, mehr und mehr phantastisch gewordene Naturphilosophie Schellings an. Pantheistisch, aber mehr mit humanitären, kosmopolitischen, freimaurerischen Tendenzen war auch die Rechtsphilosophie Krauses und seines erfolgreicheren Jüngers Ahrens.

Aber viel früher und viel mächtiger hatte, ebenfalls in Fortführung und Umbiegung Schellingischer Gedanken, die Philosophie Hegels gewirkt, die im Naturrecht (zuerst 1820) das Wesen des objektiven Geistes entwickeln will, wie er vom freien Willen aus im Rechte seinen abstrakten Gegenstand setze und sich erhebe zur Sittlichkeit, deren Idee im Staate ihre Wirklichkeit finde.

Das Bedeutende dieses Systemes war, daß es auch und sogar vorzugsweise die modernen sozialen Gebilde — Gesellschaft und Staat — als geistig-natürliche zu begreifen, d. i. als notwendig zu erweisen unternahm, anstatt sie lediglich als auf theoretischen Verirrungen beruhend zu verwerfen, wie es in der Romantik und historischen Jurisprudenz, wie in allem restauratorischen und reaktionären Denken wesentlich angelegt war. Dagegen ist aber in der Hegelischen Begriffswelt — ungeachtet der Hinweisung auf die 'Weltgeschichte' — alle historische Erkenntnis, ebenso wie alle Theorie des wirklichen Verhältnisses zwischen individuellem Willen und sozialen Kreisen ausgelöscht. — Die Hegelsche Rechtsphilosophie ist nicht nur Darstellung, sie ist sogar Verherrlichung des Staates, und der Staat, der die sittliche Idee verwirklicht, ist ihm der wirkliche Staat, der preußische Staat der Restaurationszeit, der doch seine radikale Vergangenheit nicht völlig verleugnen kann. Zweideutig wie dieser konservative Absolutismus, ist Hegels Staatslehre, ihre Zweideutigkeit trat in der Schule zu Tage. Die Hegelsche Linke führte vom absolutistisch-geheimrätlichen zum demokratischen Liberalismus und darüber hinaus, blieb aber ohne akademische Geltung.

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