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Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher (1890)

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Originalität ist nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung alles Künstlertums; sie ist in Rembrandt als einem Musterbeispiel gegeben; durch sie muß der Deutsche hindurchpassieren, wenn er geistig etwas werden will. Das ist die erzieherische Bedeutung dieses großen Künstlers. Wie von Cäsarismus, so könnte man auch von Rembrandtismus reden; nur daß dieser gerade das Gegenteil von jenem ist; denn jener zentralisiert ein Volk äußerlich, dieser individualisiert es innerlich. Das Neue muß an das Alte anknüpfen; aber nur an dem Punkte, wo es am freiesten ist; und am freiesten ist die bisherige deutsche Kultur in Rembrandt. Vieles nimmt man heutzutage unters Mikroskop; es dürfte gut sein, auch einmal einiges unters Makroskop zu nehmen; audiatur et altera pars. In diesem Sinne ward hier der Versuch gemacht, nicht einen Mann an der Zeit, sondern die Zeit — die heutige Gegenwart — an einem Manne zu messen. Es macht den modernen Nichtmenschen in der Regel wenig Eindruck, wenn man ihnen sagt: werdet Menschen; vielleicht macht es ihnen mehr Eindruck, wenn man sie auf einen ganz bestimmten Menschen verweist und ihnen zuruft: werdet Menschen wie Rembrandt. Selbstverständlich bezieht sich das nicht auf den Grad, sondern auf die Qualität seiner Befähigung. Diese Art von Menschlichkeit braucht nicht mit dem Verstande begriffen, nicht aus Büchern geschöpft zu werden; sie läßt sich mit Augen sehen und mit Herzen fühlen; sie ist kein Auszug in eine ideale und unbekannte Fremde; sie ist eine Rückkehr ins Vaterhaus.



Quelle: Julius Langbehn, Rembrandt als Erzieher (1890). 37. Auflage. Leipzig: C. L. Hirschfeld, 1891, S. 45-58.

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