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Thomas Mann, Ein Nachwort zu Buddenbrooks (1905)

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War jemand im Saale, in dem bei diesen Worten des Herrn von Brocken irgend etwas wie Empörung sich geregt hat? Ich habe kein Zeichen dafür erhalten. Der Herr, dessen Sache es gewesen wäre, ihm zu antworten, der Sachwalter des Beklagten, der als Jurist empfinden mußte, daß hier ›berechtigte Interessen‹ in der leichtfertigsten Weise verletzt waren, hat sich darauf beschränkt, zu bedauern, daß ich nicht als Zeuge geladen worden sei; aber mich gegen die Insulte in Schutz genommen hat er nicht. Was Wunder, wenn ich selbst das Wort zur Abwehr nehme? Denn es liegt mir an der Meinung meiner Landsleute über mich, — und das ist natürlich.

Wenn man alle Bücher, in denen ein Dichter, ohne von anderen als künstlerischen Rücksichten geleitet worden zu sein, Zeitgenossen, lebende Personen seiner Bekanntschaft porträtiert hat, auf den Namen Leutnant Bilse's taufen wollte, so müßte man ganze Bibliotheken von Werken der Weltliteratur unter diesem Namen versammeln, darunter die allerunsterblichsten. Als, um ein gutes Beispiel zu nennen, Goethe's Werther-Roman erschien und alsbald eine gewaltige Fernwirkung gewann, da hatten die Urbilder der Lotte und ihres Ehemannes alle Ursache, sich kompromittiert zu fühlen. Sie liefen nicht in die Gerichte. Sie begriffen, daß es kleinlich gewesen wäre, dem Dichter zu grollen, der ihnen in seinem Buche ein tausendmal höheres, intensiveres und nachhaltigeres Leben verliehen hatte, als sie in der bürgerlichen Wirklichkeit führten, — und sie schwiegen.

»Vorzüglich!« sagen meine Landsleute. »Er vergleicht sich mit Goethe!« — Bewahre, nein. Aber Goethe war nicht immer der allen Injurienklagen entrückte Genius, der er uns heute ist. Auch er war einmal gegenwärtig, Zeitgenosse, modern, war irgendein junger Mann aus Frankfurt, der ›schrieb‹, der sein Leben dichtete, die Eindrücke, die er von Welt und Menschen gewann, in Büchern gestaltete, gerade wie ich; und wenn ihr mich fragt, mit wem der beiden ich mich eher verwandt fühle mit Goethe oder mit Bilse, so antworte ich ganz ohne Größenwahnsinn: Eher mit Goethe.

Darauf nämlich kommt es an, ob man, dem Wesen, wenn auch gewiß nicht dem Grade nach, eine Art Goethe oder ein Bilse ist, wenn die Frage beantwortet werden soll, ob man im höheren Sinne ein Recht hat, sich Freiheiten zu nehmen, wie ich sie mir in ›Buddenbrooks‹ genommen habe. Bilse war ein unreiner Pamphletist, für den das Wort ›Pamphletist‹ schon zu gut ist (denn er hätte Talent haben müssen, um es zu verdienen), der sein bißchen subalterne Gehässigkeit in schlechte Sätze brachte und den sein Skandal so wenig unsterblich gemacht hat, daß in ein paar Jahren keine Seele mehr seiner gedenken wird. Ich würde mich freuen, wenn meine Landsleute mir die Ehre erwiesen, zu glauben, daß es mit mir eine andere Bewandtnis hat!

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