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Lovis Corinth, „Die Bilder aus der Mark und die Gründung der Berliner Sezession” (1903)

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Es ist Leistikows unbestrittenes Verdienst, den Stein ins Rollen gebracht zu haben; aber noch mehr Ehre hat er sich erworben, daß durch seine kluge Art die Berliner Sezession auch lebensfähig geblieben ist, denn außer der Münchner Sezession sind alle ähnlichen Unternehmungen in den anderen Hauptstädten Deutschlands, so schnell sie entstanden, ebenso schnell auch verschwunden.

1899 war die erste Sezessions-Ausstellung im eigenen Gebäude in der Kantstraße am Theater des Westens. Das possierliche kleine Haus, das allen Vorübergehenden ein komisches Lächeln abgewann, war in letzter Stunde kaum vor der Eröffnung mit Mühe fertiggestellt worden. Die Wände waren natürlich noch so feucht, daß die Bilder – um sie vor Schaden zu bewahren – jeden Abend abgehängt und jeden Morgen neu aufgehängt werden mußten. War nun wohl viel Mühe dabei, auch manche Verrechnung, so war doch Freude das weit größere Teil an dem jungen Unternehmen. War man doch sein eigener Herr in seinen vier Wänden; jetzt konnte man in Taten umsetzen, was man früher in Worten gepredigt. Leibl und Böcklin wurden als die größten Deutschen durch ihre bedeutendsten Schöpfungen hier ausgestellt und zu den ersten Ehrenmitgliedern ernannt; ebenso stellten sofort Thoma und Uhde aus, nur Menzel wollte unbehelligt sein und verbat sich in fauchenden Worten die Ausstellung irgendeines seiner Werke. Max Liebermann errang jetzt zuerst seine ganze Bedeutung, nachdem er bereits vor etwa drei Jahren durch eine Kollektivausstellung am Lehrter Bahnhof ebenso wie Leibl die große Medaille, den Professortitel und die Mitgliedschaft der Berliner Akademie erhalten hatte.

Leistikow und der Geschäftsführer, der junge Kunsthändler Paul Cassirer, gingen aber noch weiter. Sie brachten nun zuerst die teils verpönten, teils unbekannten modernen Künstler des Auslandes dem Publikum vor Augen: Manet und Monet, die bereits berühmten Pariser; der bis dahin unbekannte Cézanne, welcher in Paris plötzlich noch lebend zur größten Anerkennung ausgegraben worden war und Gauguin, in dem man nun das Vorbild des früher umstrittenen Norwegers Munch erkannte; ferner einen Holländer, von dem noch nie irgendeiner ein Sterbenswörtchen gehört hatte: van Gogh. Selbst Cassirer hatte ihn noch nicht gekannt; Leistikow hatte von ihm Werke in Kopenhagen gesehen und eine Seelenverwandtschaft mit sich selbst in ihm gefunden. So fremd und unmöglich mir das zuerst klang, so muß ich doch gestehen nach längerem Betrachten beider Werke, daß er nicht Unrecht gehabt hat. Die van Goghschen Bilder verblüfften ganz Berlin zuerst in solcher Weise, daß überall ironisches Gelächter und Achselzucken war. Aber die Sezession brachte alljährlich immer wieder neue Werke von diesem Holländer, und heute wird ein »van Gogh« zu den besten und teuersten gezählt, während man zu Lebzeiten des Malers seine schönsten Werke für ein Butterbrot hätte haben können. Aber nicht allein diese Ausländer kamen in den Ausstellungen der Berliner Sezession zur Geltung, sondern auch bis dahin unverstandene deutsche Künstler: Max Slevogt, Breyer, Baluschek, Brandenburg; ich selbst habe der Sezession für Geltungmachen meiner Art zu danken. Aber noch weiter geht die Wirkung dieser Leistikowschen Gründung: die Stadt Berlin wurde immer mehr Kunststadt, dieser frische Kampf machte die Bewohner der Stadt zuerst auf die bildende Kunst aufmerksam, sie nahmen Partei für und wider die Sezession, der Lehrter Bahnhof selbst, bis dahin eine Einrichtung zugunsten alter treuer »Nummern«, erwachte aus seiner Lethargie und mußte nolens volens sich gegen diese gefährliche Konkurrenz wehren, indem dort ebenfalls begabte Neuerer mehr zur Geltung kamen und indem sie auch die moderne ausländische Richtung in ihren Sälen beherbergen mußten.



Quelle: Lovis Corinth, Das Leben Walter Leistikows. Ein Stück Berliner Kulturgeschichte. Berlin, 1910, S. 51-56.

Abgedruckt in Jürgen Schutte und Peter Sprengel, Die Berliner Moderne 1885-1914. Stuttgart, 1987, S. 553-59.

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