GHDI logo

Ein Stadtplaner beschreibt das neue Regierungsviertel in Berlin (2001)

Seite 4 von 6    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Der Hinweis auf ein ähnliches Großvorhaben am südlichen Rand des Tiergartens, das eine wahre planerische Odyssee hinter sich gebracht hat, erscheint tröstlich: das von dem Architekten Hans Scharoun konzipierte Kulturforum. Auch hier hat sich das Urbanitätsversprechen, das bei Baubeginn gegeben wurde, erst nach 40 Jahren einlösen lassen, allerdings auf Umwegen und auch nur dadurch, dass mit dem Potsdamer Platz unverhofft ein weiteres Großprojekt hinzutrat. Der bis heute von Scharouns Meisterwerk, der Philharmonie, ausgehenden Ausstrahlung haben diese Wirrungen übrigens keinerlei Abbruch getan.

Im Osten des Reichstagsgebäudes werden nun die Baumassen sichtbar, die sich nördlich und südlich der Dorotheenstraße sowie der Luisenstraße angesammelt haben.* Die diesen Formationen gegebenen Namen Jakob-Kaiser-Haus und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mögen ihre demokratiegeschichtliche Berechtigung haben, aus städtebaulicher Sicht führen diese Begriffe in die Irre. In der hier versammelten Aneinanderreihung von äußerst kompakt bebauten Großblöcken ballt sich eine Geschossfläche von über 300 000 Quadratmetern – nahezu ein Viertel des gesamten vom Bund in Berlin genutzten Volumens. Zudem handelt es sich um monofunktional genutzte Büroflächen mit nur wenig Chancen, hier städtische Mischnutzungen, etwa Geschäfte und Gastronomie oder gar Wohnen, zu etablieren.

[ . . . ]


III. Der Bund in der Alten Mitte

Nur wenige hundert Meter weiter südlich der Linden ist in den Blöcken der Friedrichstadt zwischen Wilhelmstraße und Markgrafenstraße zu sehen, welche positive Wirkung die in die vorhandene Baustruktur eingeflochtenen Standorte verschiedener Bundesministerien haben. Die Bauten des Bundesministeriums für Justiz, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung oder das heute vom Bundesrat genutzte ehemalige Preußische Herrenhaus knüpfen z. T. an über hundertjährige Nutzungstraditionen an und sind gleichzeitig Beleg für eine lebendige denkmalgerechte Umnutzungskultur.** Von diesen Gebäuden geht keine Aura der Unnahbarkeit – etwa durch überzogene Sicherheitsanforderungen – aus, sie erzeugen kaum Verdrängungseffekte, sondern bieten ein gewisses Maß an städtischer Reibungsfläche, aus der sich hochwertige Nutzungsgeflechte zu anderen hochwertigen Standorten, aber auch zu Sekundärnutzungen wie Gastronomie oder Dienstleistungen ergeben können. Die zahlreichen in der Friedrichstadt genutzten Vertretungen der Bundesländer und Standorte der ausländischen Botschaften wie etwa von Frankreich, Großbritannien, Polen oder Belgien zeigen, dass diese Institutionen dem Beispiel des Bundes gefolgt sind. Ihre Existenz belegt die Vereinbarkeit von Hauptstadt-Funktionen und Urbanität auf überzeugende Weise. Eine Ausnahme wird möglicherweise die Botschaft der USA am Pariser Platz darstellen, deren gestiegene Sicherheitsansprüche offensichtlich zu einigen städtebaulichen Konzessionen führen, die für den Stadtgrundriss und für die Wiederherstellung der öffentlichen Räume an dieser so prominenten Stelle eigentlich nicht akzeptabel sind.

[ . . . ]



* Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Demokratie als Bauherr – Die Bauten des Bundes in Berlin 1991-2000, Hamburg-Berlin 2000, S. 70 ff.
** Vgl. Jürgen Tietz, „Glück auf“, in Architektur in Berlin-Jahrbuch 2000, Hamburg-Dresden 2000, S. 32; Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.), Hauptstadt Berlin – Denkmalpflege für Parlament, Regierung und Diplomatie, Berlin 2000.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite