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4. Konfessionen
Druckfassung

1. Augenzeugen und Familien   |   2. Regierung   |   3. Reformation   |   4. Konfessionen


B. Nachbarn und Feinde

Vom Beginn der protestantischen Reformation bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges waren sämtliche deutschen Territorien auf die eine oder andere Weise in den Konflikt mit dem Osmanischen Reich verwickelt. Dieser junge und mächtige Staat war aus den Ruinen des Byzantinischen Reiches (1453) und des Sultanats der Mamelucken (1517) entstanden, nach deren Eroberung der osmanische Sultan Kalif und weltliches Oberhaupt des orthodoxen Islam wurde. Kurz darauf bestieg Sultan Süleyman I. (reg. 1520-66), von den Christen „der Prächtige“ und von seinem eigenen Volk „der Gesetzgebende“ genannt, den Thron. Mit der Zerschlagung des Königreichs Ungarn unter seiner Herrschaft im Jahr 1526 begannen acht Jahrzehnte von Krieg in Abwechslung mit Waffenstillstand, während derer Plünderungen in Grenzgebieten regelmäßig in große Feldzüge in Ungarn übergingen (1526-47, 1593-1606).

Die Deutschen sahen in dem „großen Türken“ und seinen Untertanen vier Dinge. Er war zugleich Herrscher über eine semi-exotische, komplexe Bevölkerung, der erfolgreichste Kriegsherr seiner Zeit, ein Tyrann, der Christen versklavte und niedermetzelte und (in den Augen der Lutheraner) ein Diener des Antichristen, der erschienen war, um den Weltuntergang einzuläuten. Die weit verbreiteten Holzschnitte und Flugblätter der Zeit über die Osmanen vermitteln größtenteils ein sensationssüchtiges Bild, das sie als exotisch, wild und grausam darstellt. 1582 erschien mit den kenntnisreichen (auf Latein verfassten) Briefen aus der Türkei des flämischen Adligen Ogier Ghiselin de Busbecq (1521-92) eine abgeklärtere Sichtweise. Busbecq war dreißig Jahre zuvor als Gesandter König (später Kaiser) Ferdinands I. nach Istanbul gereist; 1562 kehrte er mit einem Friedensvertrag zwischen Kaiser und Osmanischem Reich zurück. Der erste Ausschnitt aus Ogiers Briefen beinhaltet eine Beschreibung seiner Ankunft in der Hauptstadt der Osmanen sowie seine Einschätzung ihrer Zivilisation (und seiner eigenen). Der zweite Ausschnitt beschreibt seinen Abschied und die Rückkehr in sein eigenes Land. Zusammengenommen zeigen die Texte Ogier als einen intelligenten, gebildeten und genauen Beobachter einer Zivilisation, die er in vieler Hinsicht als seiner eigenen überlegen empfand.

Der „Lange Türkenkrieg“ (1593-1606) zwischen dem Reich und den Osmanen verfestigte das militärische Patt in Ungarn. Zunächst verlief der Krieg vorteilhaft für die kaiserlichen Truppen, welche die Stadt Esztergrom/Gran, Sitz des katholischen Primas, zurückerobern konnten. Die Position Rudolfs II. wurde jedoch durch die Kampfansage seines Bruders Matthias sowie durch die Opposition des Fürsten István Bocskay (1557-1606) von Siebenbürgen ernsthaft gefährdet. Ein Friedensschluss zwischen Matthias und Bocskay sowie der Verlust der Stadt Pest durch die kaiserlichen Truppen zwangen Rudolf schließlich zum Handeln. Am 11. November 1606 wurde der Vertrag von Zsitvatorok (Oberungarn, heute in der Slowakei) in seinem und dem Namen Sultan Ahmeds I. (reg. 1603-17) geschlossen. Darin garantierten die beiden Monarchen den territorialen Status Quo; dem Kaiser wurde es erlassen, dem Sultan Tribut zu zollen, welcher ihn erstmalig als Herrscher gleichen Ranges anerkannte; außerdem erhielten die ungarischen Dorfbewohner und Adligen Steuerprivilegien. Der Frieden überdauerte den Dreißigjährigen Krieg und hatte bis 1663 Bestand. Ein früheres Wiederaufkeimen der Kampfhandlungen, z.B. in den 1630er Jahren, hätte durchaus das Ende der Habsburgerdynastie bedeuten können.

Für die im Reich ansässigen Juden, die einst zu den „Feinden Gottes“ gezählt wurden, war das 16. Jahrhundert eine Ära der Verbesserung der äußeren Lebensumstände. An die Stelle der verschwindenden Schrecken der Vergangenheit – Anschuldigungen, Lynchjustiz und Massaker – trat nun eine Integration der Juden in die Regulierungsgeflechte des Reiches, der Territorien, sowie des bürgerlichen Lebens. Der bösartige Antijudaismus Martin Luthers blieb weitgehend ohne Auswirkungen auf diese wesentliche Tendenz, welche durch die Empfänglichkeit der Monarchen für jüdische Petitionen sowohl gefördert als auch symbolisiert wurde. Der herausragende Vertreter des Judentums zur Zeit Karls V. war der Elsässer Josel von Rosheim (ca. 1480-1554), welcher den neuen Titel „der gemeinen Judischheit Befehlshaber in Teutschland“ führte. Von der Krönung Karls in Aachen 1520 bis weit in die 1540er Jahre hinein trug Josel laut seiner eigenen Berichte Bitten und Vorschläge bezüglich jüdischer Interessen bei den kaiserlichen Behörden vor. Er verteidigte die Juden gegen Anschuldigungen des Verbrechens, argumentierte gegen die Ausweisung von Juden als Wucherern und verurteilte Luther als Feind des jüdischen Volkes. Unter den Nachfolgern Karls V., die zur Fortführung dieser Judenpolitik neigten, begann sich die Behandlung der Juden in den Territorialstaaten von der Unterdrückung zur Regulierung zu verschieben. Wie das Gesetz aus Hessen-Darmstadt von 1585 belegt, führte das Bestreben zur Integration der Juden zu ausführlichen Regelwerken, die einige Aktivitäten verboten, andere jedoch schützten. Die hauptsächliche Tendenz dieser Veränderungen bestand darin, die Reichsjuden zu rechtlichen Untertanen zu machen, zwar nach wie vor benachteiligt, doch zunehmend von der Unterdrückung früherer Zeiten befreit.

Die Integration der Juden fiel zeitlich mit dem Anstieg der Hexenverfolgung zusammen. Im 15. Jahrhundert erhielt dieses Kapitalverbrechen seine erste tatsächliche Rechtfertigung durch die „diabolische Theorie“, laut derer Hexen eine Art Anti-Kirche bildeten, welche auf Teufelskult und boshaftem Schadenszauber gründete. In den 1580er Jahren stieg der Eifer zur Säuberung der Gesellschaft von Hexen sprungartig an. Er überschwemmte die deutschen Länder, wo schätzungsweise 30.000 Menschen hingerichtet wurden (vielleicht die Hälfte aller Hexenhinrichtungen in Europa), darunter mehr als zwei Drittel Frauen. Im alltäglichen Leben spielte sich die Hexenverfolgung in Kleinstädten und Dörfern ab, wo Nachbarn sich gegenseitig beschuldigten, doch kam es auch in größeren Städten in Abständen zu regelrechten Verfolgungswellen, die Massenprozesse und Hinrichtungen nach sich zogen, welche weder die Wohlhabenden noch die gesellschaftlich Hochrangigen verschonten. Kleine, schwach regierte Staaten waren anfälliger für solche Panikwellen als stark regierte, politisch gespaltene mehr als konsolidierte, und katholische Kirchenstaaten mehr als dynastische Staaten jedweder Konfession. Mit der Zeit kamen den Juristen jedoch Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Verfolgung dieses Verbrechens mit den Normen der Rechtsprechung. Diese Zweifel kommen in den Ausführungen des Bayrischen Hexenmandats von 1611 gegen Hexerei, Zauberei und Aberglauben zum Vorschein, dem ausführlichsten Gesetz, das zu diesem Problem je entworfen wurde.

Die große Welle der Hexenverfolgung, welche in den 1620er und 30er Jahren einige der kirchlich regierten Staaten überschwemmte (Bamberg, Würzburg, Trier und vor allem Köln), verstärkte die Skepsis gegenüber der Vereinbarkeit der Hexenverfolgung mit den Normen der Justiz. 1631 veröffentlichte der deutsche Jesuit Friedrich von Spee (1591-1635) anonym seine Argumente gegen die Verfolgung der als Hexen beschuldigten. Seiner Ansicht nach garantierte das Verhör unter Folter aus Mangel an Augenzeugen praktisch die Verurteilung. Er merkte an, die Hexenjagd sei eine deutsche Besonderheit und in den katholischen Mittelmeerländern wie Spanien und Italien so gut wie unbekannt. Die Hexenverfolgung dauerte noch eine weitere Generation an bis in die 1660er Jahre, als sie schließlich abzunehmen begann. Acht Jahrzehnte lang war die Hexerei das schwerste Verbrechen in den deutschen Ländern gewesen. Während die osmanische Gefahr so plötzlich verschwand wie sie aufgetreten war und sich die Lage der Juden im Reich von der Unterdrückung zur Toleranz (mit Diskriminierung) entwickelte, dauerte die Hexenverfolgung an. Im Zeitraum von 1500 bis 1650 starben pro hingerichtetem Ketzer ungefähr 30 vermeintliche Hexen.


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