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Fidus, Tempel der Erde (1901)

Die deutsche Lebensreform-Bewegung suchte nach Alternativen zu den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die durch die schnelle Industrialisierung und Verstädterung Deutschlands im 19. Jahrhunderts verursacht wurden. Sie versuchte, den Menschen der Natur näher zu bringen, indem sie eine vegetarische Ernährung propagierte, den Körper einengende Kleidung ablehnte (einige vertraten den Nudismus) und selbst die jüdisch-christliche Religion zugunsten einer Spiritualität verwarfen, welche die Natur und den menschlichen Geist als Teil der natürlichen Ordnung verehrte. In einigen Fällen begründete diese Naturverehrung des 19. Jahrhunderts später eine Affinität zur „Blut und Boden-Ideologie“ der Nazis. Der Künstler Fidus (Hugo Höppener, 1868-1948), der den hier abgebildeten Grundriss für den „Tempel der Erde“ zeichnete, trat 1932 in die NSDAP ein. Trotz seiner Begeisterung für die NS-Ideologie wurden Fidus' Anträge auf finanzielle Unterstützung, um seine Tempel zu bauen, abgelehnt, und im Jahr 1937 wurde der Verkauf seiner Bilder verboten.

Der in dieser Zeichnung skizzierte „Tempel der Erde“ verkörpert die Hinwendung zur Verehrung der Naturwelt und dem menschlichen Geist. Fidus war ein Anhänger der als Theosophie bekannten Religionsphilosophie, und sein Werk wird oft mit Mystizismus und Naturverehrung in Verbindung gebracht, eine Verbindung, die durch diesen Entwurf bestätigt wird. Der Eingang des Tempels führt den Besucher entweder nach links oder nach rechts – nach dem Entwurf würde links vom Eingang ein Frauenbildnis hängen und rechts davon ein Männerbildnis. Die den Zentralraum umgebenden Säle sind verschiedenen menschlichen Empfindungen gewidmet und ihnen ist eine entsprechende Farbe zugeordnet. Die Säle auf der linken Seite des Tempels sind (von unten nach oben): Saal der Lust - oranges Licht; Saal der Gefühle – vorwiegend rotes Licht; Saal der Sehnsucht – violettes Licht. Die Säle auf der rechten Seite sind (von unten nach oben): Saal des Ehrgeizes – gelb-grünes Licht; Saal des Willens – vorwiegend grünes Licht; Saal der Liebe – blau-grünes Licht. Beide Wege führen zur Halle der Ergebung, die vorwiegend blau erleuchtet ist, und durch die man den Zentralraum erreicht, in dem sich ein mit „Die Wasser – Bild des Herrn der Erde“ beschrifteter Brunnen befindet. Hinter der Halle der Ergebung befindet sich die Kammer des Schweigens mit dunkelblauem Licht. Durch die Kammer des Schweigens käme man in „Das Dunkle“, bevor man den einzigen runden Raum des Tempels, das Heiligtum erreichte. Ein wassergefüllter Graben umgibt die Tempelanlage, die sich ein einem „Heiligen Hain“ befindet.

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Fidus, Tempel der Erde (1901)

Quelle: Fidus, Tempel der Erde [Temple of Earth] (1901); abgedruckt in Jost Hermand, Der Schein des schönen Lebens: Studien zur Jahrhundertwende. Frankfurt am Main, 1972, S. 93.