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Das neue Programm der FDP (25.-27. Oktober 1971)

Die parteipolitische Erneuerung der FDP, die bereits in den sechziger Jahren eingesetzt hatte, fand in den 37 Freiburger Thesen ihren vorläufigen Abschluss, die eine liberale Gesellschaftspolitik und einen sozialen Kapitalismus als programmatische Ziele postulierten und sich damit von einer konservativen Gesellschafts- und traditionellen neoliberalen Wirtschaftspolitik distanzierten.

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Die Freiburger Thesen der FDP

Einleitung: Liberale Gesellschaftspolitik
Vorbemerkung


Der Liberalismus war und ist Träger und Erbe der demokratischen Revolutionen, die zu Ende des 18. Jahrhunderts in Amerika und Frankreich vom Gedanken der Freiheit und Würde des Menschen ausgehen.

Die aus diesen bürgerlichen Revolutionen in die späteren Reformbewegungen im Staat eingehende liberale Tradition, die aus der bürgerlichen Aufklärung als geistige Gegenbewegung gegen den Absolutismus und Merkantilismus des monarchischen Staates und der feudalen Gesellschaft entstanden ist, hat von Anfang eine doppelte Zielrichtung.

Sie geht auf eine Demokratisierung des Staates, die zunächst mit dem Dritten und zuletzt mit dem Vierten Stand allen Staatsbürgern das aktive und passive Wahlrecht und damit das Recht auf größtmögliche und gleichberechtigte Teilhabe und Mitbestimmung an der Organisation und Aktivität des Staates verschafft.

Sie geht in beiden bürgerlichen Revolutionen zugleich auf eine Liberalisierung, durch verfassungsmäßige Verbürgung unantastbarer Freiheitsrechte und Menschenrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Freie Entfaltung der Persönlichkeit, gleiche Stellung des Bürgers vor dem Gesetz, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, Religionsfreiheit und Koalitionsfreiheit, aber auch Rechte auf Leben und Gesundheit usw. sind die großen demokratischen Errungenschaften dieser Liberalisierung des Staates. [ . . . ]

Diese neue Phase der Demokratisierung und Liberalisierung, im ursprünglichen und nicht dem heute oft mißbrauchten Sinne dieser Worte, entspringt aus einem gewandelten Verständnis der Freiheit, das dem modernen Liberalismus die neue politische Dimension eines nicht mehr nur Demokratischen, sondern zugleich Sozialen Liberalismus erschließt.

Freiheit bedeutet für den modernen Liberalismus, wie er bei John Stewart Mill in England und bei Friedrich Naumann in Deutschland erstmals in Gedanken gefaßt ist, nicht länger die Freiheit eines aus der Gesellschaft herausgedachten, dem Staate engegengesetzten autonomen Individuums, sondern die Freiheit jenes autonomen und sozialen Individuums, wie es als immer zugleich einzelhaftes und gesellschaftliches Wesen in Staat und Gesellschaft wirklich lebt.

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