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Die FDP wird hofiert und diskutiert ihre Optionen (30. September 1969)

Trotz des schlechten Abschneidens der FDP bei den Wahlen im September wurde sie zum umworbenen Koalitionspartner. In der folgenden Niederschrift rekapitulieren Mitglieder der Parteispitze nicht nur die Gespräche der letzten beiden Tage mit SPD- und CDU-Politikern, sondern erwägen auch die Bedingungen, unter denen die Partei ihr politisches Profil in einer Koalition deutlich machen könne.

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Auszug aus der stenographischen Niederschrift über die Sitzung des Bundesvorstandes der FDP am 30. September 1969


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Genscher: In der Wahlnacht erreicht uns über Herrn Friderichs die Mitteilung, daß Herr Kohl mit uns zu sprechen wünschte. Er rief dann später noch einmal an und unterbreitete den Vorschlag, daß Herr Scheel mit einer Delegation der F.D.P. in den Bungalow des Kanzlers kommen sollte. Dort saßen der Bundeskanzler selbst, Herr Dufhues, Herr Heck – wenn ich recht unterrichtet bin, auch Herr Barzel, oder dessen Erscheinen war angekündigt. Die CDU war bereit, in dieser Nacht eine Art Koalitionsabkommen mit uns abzuschließen. Ich habe darüber auch mit Herrn Scheel gesprochen, und wir waren uns darüber einig, daß in der Wahlnacht kein Anlaß besteht, eine solche Verhandlung zu führen. Dieses Ergebnis unseres Gesprächs habe ich in der rheinland-pfälzischen Vertretung Herrn Kohl mitgeteilt. Ich habe gesagt: Wir werden am Dienstag unsere Gremien zusammenhaben; vorher können Regierungsverhandlungen nicht geführt werden.

(Vors[itzender] Scheel: Hat Herr Kohl in dieser ersten Unterhaltung irgendwelche Sachaussagen gemacht?)

Er hat nur gesagt, daß bei ihnen die Bereitschaft, eine Koalition mit der Freien Demokratischen Partei zu bilden, sehr stark sei, mit sehr weitreichenden Konsequenzen auch für die Landespolitik, mit einer großzügigen, die Wunden heilenden Behandlung hinsichtlich der Vergabe von Kabinettspositionen. Er hat gesagt: Sie werden natürlich sehr großzügig behandelt! – Ich habe gesagt: Es ist jetzt nicht die Stunde, über solche Fragen zu sprechen – ohne daß in irgendeiner Weise Einzelheiten erörtert worden sind.

Vors. Scheel: Darf ich Herrn Dr. Müller bitten, das insoweit zu ergänzen, als er ebenfalls eine Information über die CDU bekommen hat. Danach hätten wir dann alle CDU-Informationen zusammen.

Dr. Müller: In der Wahlnacht war ich als Landesvorsitzender der F.D.P. von Baden-Württemberg in dem Presse- und Fernsehhauptquartier im Landtag, wo sämtliche Parteivorsitzende und auch die Vertreter der Landesregierung offiziell eingeladen waren. Ich habe dort den ganzen Abend verbracht. Es kam auch zu gemeinsamen Rundfunkerklärungen aller Parteivorsitzenden.

Als im Laufe der Nacht das Wahlergebnis sichtbar wurde, wurde ich gebeten, Herrn Ehmke zu empfangen, der auch dort war. Er hat mir gesagt, daß die SPD auch bei einer dünnen Mehrheit bereit sei, mit uns zu koalieren. Ich habe gesagt: Ich nehme das zur Kenntnis und werde es unseren Gremien mitteilen. Das habe ich dann auch telefonisch getan.

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