GHDI logo


Bericht über eines der ersten Todesopfer an der Zonengrenze (30. August 1961)

Manchmal konnten Fluchtversuche von Ostdeutschen über die befestigte Grenze vom Westen beobachtet werden. Hier berichtet eine West-Berliner Zeitung ausführlich über einen dramatischen Fluchtversuch und dessen blutige Konsequenzen.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 1


Gestern an der Zonengrenze: SED-Scherge erschoß Flüchtling im Teltowkanal


Berlin, 29. August

Angehörige einer Betriebskampfgruppe erschossen gestern einen Flüchtling, der an der West-Berliner Zonengrenze in Lichterfelde den Teltowkanal durchschwimmen wollte. Acht bis zehn Karabinerschüsse peitschten plötzlich um 14 Uhr 10 durch die Stille an der im Krieg zerstörten Fritz-Schweitzer-Brücke. Verzweifelt schwamm ein Mann um sein Leben.

Bis zur dichtbewachsenen Uferböschung war es ihm gelungen, den Sperrgürtel der Betriebskampfgruppen, Vopos und „Volksarmisten“ zu durchbrechen. Die MG-Posten links von ihm in den Baumkronen hatten ihn nicht bemerkt, und auch in den Schützenlöchern auf der rechten Seite unmittelbar an der Gasleitung über den Teltowkanal, sah niemand, wie der etwa 30jährige Ostzonen-Bewohner die Oberkleider wegwarf, sich an einem Strick eine Aktentasche um den Hals hing und von der Uferböschung mit einem Kopfsprung ins Wasser sprang. 50 Meter ist dort der Kanal breit.

Das Aufklatschen des Mannes im Wasser riß die Söldner Ulbrichts aus ihrer Mittagsruhe. Von allen Seiten schossen sie auf den Schwimmenden. Viele Schüsse gingen daneben auch auf die West-Berliner Seite des Teltowkanals. Genau in der Mitte verläuft hier kilometerlang die Grenze zwischen Ost- und West. Zweimal tauchte der Flüchtling unter dem Kugelhagel hinweg. Schon hatte er fast die Mitte, die Freiheit, erreicht. Da sprang ein Mann der Betriebskampfgruppe aus dem Dickicht, legte die Maschinenpistole an und jagte einen Feuerstoß über das Wasser. Er traf den Flüchtling in den Kopf. Durch die Wucht des Geschosses wurde er im Wasser herumgewirbelt und sackte nach hinten weg. „Ihr Schweine, ihr Hunde, schießt doch nicht auf eure eigenen Landsleute“, brüllte in diesem Moment ein junger Mann auf der ostzonalen Seite, der dort mit mehreren Arbeitern das Unterholz auf dem Grenzstreifen rodete. Sofort wurde er von mehreren Uniformierten umringt. Sie führten ihn ab. Er winkte noch einmal in den Westsektor und rief: „Macht's gut, Jungens, mich seht ihr nie wieder.“

Im Nu wimmelte es nach diesem zweiten Flüchtlings-Mord innerhalb von fünf Tagen durch die kommunistischen Schergen auf der Uferböschung von Armisten, Vopos, Angehörigen der Betriebskampfgruppen, SSD-Leuten und ostzonalen Feuerwehrmännern. Der Mord-Schütze steckte sich eine Zigarette an. Offiziere und Ostjournalisten umringten ihn. Sie gratulierten ihm. Schlugen ihm anerkennend auf die Schulter. Lachend quittierte dieser „Held“ die Glückwünsche. Von beiden Seiten des Kanals wurden Schlauchboote ins Wasser gelassen. Mit Suchleinen und Stangen kämmten die Feuerwehr aus Ost und West, jeder auf seinem Gebiet, den verschlammten, mit Unkraut und Tang vermoderten Grund des Kanals ab.

Kameraleute richteten auf der westlichen Uferböschung ihre Teleobjektive auf die dreißig bis vierzig Armisten der östlichen Seite, die mit Ferngläsern die Suchaktion beobachteten. Als sie merkten, daß sie photographiert wurden, gingen sie in Deckung und ließen sich nur noch wenig blicken. Nach zwei Stunden vergeblichen Suchens brach die West-Feuerwehr die Schlauchbootaktion ab. Ein Amphibienfahrzeug tauchte plötzlich um 17 Uhr 35 auf dem anderen Ufer auf. Aber es wurde nicht eingesetzt. Um 18 Uhr wurden schließlich auch die beiden Schlauchboote der Ost-Feuerwehr aus dem Wasser gezogen. Eine Viertelstunde später traf die West-Berliner Wasserpolizei ein. Mit der geborgten Badehose eines Photoreporters sprang ein Beamter ins Wasser. Aber in anderthalb Meter Tiefe war in dem trüben Wasser auch nicht mehr das geringste zu sehen. Um 19 Uhr wurden nochmals zwei Schlauchboote der Feuerwehr eingesetzt. Doch auch dieser Einsatz blieb ohne Erfolg. Der Kanal gab den Ermordeten nicht frei.



Quelle: G. Sch., „Gestern an der Zonengrenze: SED-Scherge erschoß Flüchtling im Teltowkanal“, Tagesspiegel, 30. August 1961.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite