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Max Liebermann, „Zur Sezessions-Ausstellung” (1907)

Max Liebermann (1847-1935) gehörte 1898 zu den Gründern der Berliner Secession. Gemeinsam mit anderen Künstlern, deren Werk sich von traditionellen Darstellungsformen löste, rief er eine alternative Ausstellungsreihe zu avantgardistischer Kunst ins Leben. Im folgenden Bericht, den er neun Jahre später niederschrieb, schildert er den Erfolg der Gruppe. Obwohl Liebermann sich unterschiedlichen Kunstrichtungen gegenüber offen zeigte, war er auch weiterhin davon überzeugt, dass die Kunst bestimmten ästhetischen Kriterien verpflichtet war. Diese Auffassung zeigt, dass ein neuer Kanon „moderner“ deutscher Kunst im Aufstieg begriffen war, welcher die älteren Normen der akademischen Malerei ersetzen sollte.

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Man begegnet vielfach im Publikum wie in der Presse der Meinung, als hätten sich die Sezessionen überlebt: was sie in der Kunst angestrebt hätten, wäre erreicht und würde auch von den Gegnern als richtig anerkannt.

Tatsächlich gelten die großen Meister des Impressionismus, für deren Vorführung wir einst als vaterlandslos gescholten wurden, bereits als Klassiker, und – was mehr sagt – ihre Werke werden auch auf akademischen Ausstellungen als Meisterwerke gezeigt.

Wir sind stolz darauf, nach unseren bescheidenen Kräften an dem Siege der größten Entwicklung in der modernen Malerei mitgewirkt zu haben, und wir glauben, da dieser Teil unserer Aufgabe erfüllt ist, uns jetzt auf die Vorführung fast ausschließlich deutscher Kunst beschränken zu sollen. Wir haben die Impressionisten in ihren schönsten Werken gezeigt, nicht um damit zu prunken, sondern damit Publikum wie Künstler gleichermaßen von ihnen lernen mögen.

Aber den Sezessionen liegt eine weit höhere, aber auch weit schwierigere Aufgabe ob, eine Aufgabe, die nicht nur nicht gelöst ist, sondern auch nie vollständig gelöst werden kann.

Wir betrachten die Kunst nicht sowohl als ein Gewordenes, sondern vielmehr als ein Werdendes: die Revolutionäre von gestern sind die Klassiker von heute. Die Aufgabe der Sezessionen ist, für die künftigen Klassiker zu kämpfen. – Das sogenannte Sezessionistische überlassen wir gern unseren Gegnern, nicht sowohl in seiner technischen Vollendung – die sich eigentlich bei jedem Kunstwerke von selbst versteht – als darin, daß sich die Eigenart des Künstlers am vollendetsten in ihm offenbart, erblicken wir den Wert des Werkes. Das Talent des Malers beruht nicht in der sklavischen Nachahmung der Natur, sondern in der Kraft, mit der er den Eindruck, den die Natur in ihm hervorgerufen hat, wiederzugeben vermag. Nur die starke künstlerische Persönlichkeit ist imstande, uns von der Wahrheit der Darstellung zu überzeugen.

Wir glauben, es als einen Vorzug hervorheben zu dürfen, daß wir daran festgehalten haben, die Zahl der auszustellenden Werke so viel als möglich zu beschränken. Unsere Vorführungen werden dadurch vor der größten Gefahr bewahrt: durch massenhafte Anhäufung von Kunst ins Warenhausmäßige zu geraten und dadurch den Kunstgenuß in eine Kunstqual zu verwandeln.

Freilich werden wir in unseren Bestrebungen auf den allgemeinen Beifall verzichten müssen: denn die Menge folgt stets dem ewig Gestrigen. Auch wissen wir, wie oft mühselige Pionierarbeit in ihren Hoffnungen getäuscht wird. Aber von den vielen Keimen an dem Baume der Kunst auch nur einen zur Blüte gebracht zu haben wäre Belohnung genug für unsere Bemühungen.

Die Arbeit der Sezessionen wäre nicht umsonst für die Kunst und – was dasselbe ist – für die Künstler.



Quelle: Max Liebermann, „Zur Sezessions-Ausstellung“ (1907), in Irmgard Wirth, Hg., Berliner Maler. Berlin, 1986, S. 173.

Abgedruckt in Jürgen Schutte und Peter Sprengel, Die Berliner Moderne 1885-1914. Stuttgart, 1987, S. 574-76.

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