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Konsumkultur: Berliner Warenhäuser (1908)

Leo Colzes Schriften über die Warenhäuser in Berlin dokumentieren den tief greifenden Wandel, den Deutschland um die Jahrhundertwende durchlief. Colze betrachtet die als „ungekrönte Herrscher“ Berlins stilisierten Warenhäuser wie Wertheim, Tietz, Jandorf und das Kaufhaus des Westens als Kulminationspunkte der industriellen Entwicklung und des grenzüberschreitenden Handels. Die Kaufhäuser und die aufsteigende Konsumkultur veränderten das urbane Erscheinungsbild und die Formen des gesellschaftlichen Austausches im städtischen Raum grundlegend. Colze schildert, welche Vor- und Nachteile die Warenhäuser sowohl für den Einzelnen und als auch für die Stadt als Ganzes mit sich brachten.

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Es gibt vier Herrscher Berlins, ungekrönte Kaiser, deren gestrenges Regiment nichtsdestoweniger aber allenthalben anerkannt wird und deren Regierungserlasse und Aufrufe an das Volk nur im besten Sinne zu Diskussionen Anlaß geben. Diese ungekrönten Herren sind die Warenhäuser, sind Wertheim, Tietz, Jandorf und seit Jahresfrist etwa das Kaufhaus des Westens. Mit der Entwicklung Berlins zur Großstadt, zur internationalen Weltstadt, ist auch die Entstehung moderner Geschäftspaläste eng verknüpft. Der unparteiische, von keinerlei politischem Beiwerk beeinflußte Beobachter wird ohne weiteres zugestehen müssen, daß die Warenhäuser es gewesen sind, die auf kaufmännischem Gebiete den fortschrittlichen Stein ins Rollen gebracht haben. Wenn heute in den großen Verkehrsadern der Reichshauptstadt Geschäftspalast sich an Geschäftspalast reiht, wenn lichtdurchflutete Schaufenster mit den hervorragendsten Erzeugnissen sämtlicher Industrien der Kulturvölker nicht nur zum Kauf anreizen, sondern auch rein zu unserem ästhetischen Sinn sprechen, wenn heute auch der kleine Mann in der Lage ist, sich für Preise in den Besitz von Luxusartikeln zu setzen, für die er sonst kaum brauchbare Bedarfsmasse erhielt, so ist dies einzig und allein das Verdienst des modernen Warenhausorganismus.

Das Berliner Warenhaus nun ist ein Typ, der vorbildlich geworden ist nicht nur für deutsche Verhältnisse, sondern insgesamt für die Handelskreise der Alten und Neuen Welt. Es soll hier natürlich nicht von den »auch - Warenhäusern« die Rede sein, die infolge ihrer minderwertigen Waren, ihrer kleinen Lokalitäten, schlechten Bedienung und billig scheinen wollenden Pfennigauszeichnung nur das Warenhauswesen selbst diskreditieren, sondern von dem modernen Warenhausorganismus, dessen edelster Vertreter sich uns, alle Vorzüge, alle Lehren Amerikas und Deutschlands in sich vereinigend, im Kaufhaus des Westens präsentiert.

Ich werde deshalb auch des öfteren Gelegenheit nehmen, als Musterbeispiel gerade auf dieses modernste aller Warenhäuser zurückzugreifen, weil es der geklärteste Organismus ist, den der moderne Geschäftsbetrieb zur Zeit besitzt.

Wenn ich vorhin vom Berliner Warenhaus sprach, so meine ich das Warenhaus rein als selbständiges Individuum, ohne Beziehungen zur kaufkräftigen Bevölkerung Berlins, und diese beiden Wesensverschiedenheiten werden noch des öfteren in meinen Ausführungen zu beachten sein. Nach der letzten Richtung hin haben wir drei Regierungsbezirke der ungekrönten Herrscher streng zu scheiden.

Da ist die Firma A. Jandorf & Co. mit ihren Geschäften an den Zentren eines überaus regen Verkehrs der Arbeiterbevölkerung. Das Warenhaus des kleinen Mannes.

Die Geschäftshäuser der Firma Hermann Tietz – zur Befriedigung des Bedarfes für den Mittelstand, ebenso wie die Geschäfte der Firma A. Wertheim, mit Ausschluß ihres Hauses in der Leipzigerstraße, das ein reines Luxuswarenhaus ist, und neben dem modernen Kaufhause des Westens, im neuen Berlin W. gelegen, für die kaufkräftigsten Kreise Berlin Ws. bestimmt ist.

Eine Straßenwanderung, eine Lokalinspektion mag uns von der Richtigkeit des Gesagten überzeugen.

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