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Programm der Reichs- und Freikonservativen Partei (27. Oktober 1867)

Obwohl Meinungsverschiedenheiten in den konservativen Reihen bereits im Juli 1866 zu erkennen waren, spaltete sich nach der Einrichtung des Norddeutschen Bundes 1867 eine kleine Gruppe von der Konservativen Partei ab und gründete die Reichs- und Freikonservative Partei. In Preußen nahm die neue Gruppierung den Namen Freikonservative Partei an, unter der sie den meisten Deutschen bekannt war; doch die Bezeichnung Reichspartei wurde deutschlandweit benutzt als Signal, dass die Partei bereit war, das neue Deutsche Reich voll zu akzeptieren. Das Gründungsmanifest der Partei, wahrscheinlich von Karl Ludwig Aegidi (1825-1901) verfasst, wurde faktisch ihr Parteiprogramm. Es bringt die typisch konservative Unterstützung für eine starke Regierung und Monarchie zum Ausdruck; es bekennt sich außerdem zu Verfassungstreue und Selbstverwaltung. Die letzten Zeilen des Manifests offenbaren die Empfindlichkeit der Partei gegenüber dem Vorwurf, sich der Regierungslinie durch dick und dünn zu unterwerfen. Nicht ohne Grund war sie als die „Botschafter- und Ministerpartei“, als Inbegriff einer „Mittelpartei“ und als die „Partei Bismarck sans phrase“ bekannt. So profitierte die Partei ebenso sehr von Bismarcks Unterstützung im antisozialistischen Reichstagswahlkampf 1878, als sie mit 57 Sitzen etwa 14% der Stimmen gewann, wie sie von der bismarckfeindlichen Gegenreaktion 1890 in Mitleidenschaft gezogen wurde, als die Zahl ihrer Reichstagsmandate auf 20 und ihr Stimmenanteil auf 7% sank.

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Am Schlusse des Reichstags und angesichts einer neuen Legislaturperiode des Landtags fühlen die unterzeichneten preußischen Mitglieder der Freikonservativen Partei sich gedrungen, die politische Richtung, welche sie vertreten, in Worten zu erkennen zu geben, wie sie dieselbe in ihrem parlamentarischen Wirken betätigt haben und betätigen werden. Vor allem heißen wir den denkwürdigen Augenblick willkommen, in welchem das alte und das neue Preußen in gemeinsamer Volksvertretung seine Staatseinheit besiegeln wird. Im Reichstag haben wir als Landsleute uns zusammengefunden, und soll es das nationale Interesse sein, was uns am innigsten vereinigt. Den neuen Provinzen werden wir zu beweisen haben, daß Preußisch und Deutsch eins und dasselbe ist, und daß Deutschland gewinnt, was Preußen erwirbt. Undeutsche Gesinnung ist bei uns nicht heimisch.

Die Berechtigung des Parteiwesens verkennen wir nicht; aber seine Auswüchse und Übertreibungen weisen wir entschieden zurück. Weder billigen wir die Unterwerfung charakterfester Männer unter den Dogmatismus einer politischen Schule, noch die Unterordnung der vaterländischen Interessen unter die Sonderinteressen der Parteiung. Nicht über umfassende Theorien verständigen wir uns, sondern über praktische Fragen der Gegenwart. Wir setzen das Vaterland stets über die Partei, wir stellen das Nationalinteresse über alles.

Das hat seinen tiefen Sinn. Die preußische Staatsgeschichte gilt uns als die Vorzeit des neuen Deutschland. Die große Aufgabe, welche in der Schöpfung des preußischen Staates, des Zollvereins, des Norddeutschen Bundes ihre fortschreitende Lösung gefunden, sie geht nun ihrer Erfüllung und Vollendung entgegen — nicht nur in der unausbleiblichen Vereinigung mit dem deutschen Süden, sondern auch in der inneren Gestaltung des neuen deutschen Staats, zu welcher in diesem Reichstage die ersten, bedeutungsvollen Schritte getan sind. Indem wir der nationalen Politik des Bundeskanzlers, welche diese Ziele verfolgt, in jeder Weise, wie unabhängige Männer es mit Überzeugungstreue vermögen, unsere Unterstützung bieten, verwirklichen wir an unserem Teil den durchaus konservativen Gedanken, die gesunden und entwicklungsfähigen Elemente des Bestehenden sorgfältig zu pflegen und fortzuentwickeln, nicht aber mit der Geschichte zu brechen, nicht nach Maßgabe von Doktrinen die lebendige Wirklichkeit umformen zu wollen. Der zu einem „Deutschen Reich“ sich entfaltende Norddeutsche Bund, hervorgegangen aus dem Zollverein, erscheint uns als die deutsche Weiterbildung der preußischen Monarchie.

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