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Eduard Stephani an Rudolf von Bennigsen über nationalliberale Motive, Bismarck zu unterstützen (14. Juli 1878)

Nach zwei Attentatsversuchen gegen Kaiser Wilhelm I. im Mai und Juni 1878 benutzte Bismarck die (unbegründete) Behauptung, die Sozialdemokratie steckte hinter den Vorhaben, um die Liberalen auszumanövrieren, die mit der Zustimmung zu seinem Sozialistengesetz zögerten. Er löste den Reichstag auf, setzte für Juli Neuwahlen an, die eine „entschlossenere“ Mehrheit ergaben, und peitschte im Oktober 1878 ein überarbeitetes Sozialistengesetz durch. In diesem Brief bittet der nationalliberale Abgeordnete und Leipziger Bürgermeister Eduard Stephani (1817-1885) seinen Parteiführer Rudolf von Bennigsen (1824-1902), die offene Opposition gegen Bismarck in der nationalliberalen Presse zu dämpfen, obwohl er Bismarcks „frevelhaftes Spiel“ nicht billigt. Stephanis Befürchtung, eine direkte Konfrontation mit dem Kanzler könnte seine Partei sprengen, war nicht unbegründet, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Sezession von 1880 nicht abzusehen war. Stephani behielt zudem Recht in der Ansicht, dass die sächsischen Wähler eine gemeinsame Front gegen die Sozialisten über alle anderen Themen zu stellen schienen.

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Verzeihen Sie, wenn zu den vielen Wahlqualen, denen Sie ausgesetzt sein werden, ich auch noch mit einem Bedenken und einer Bitte komme. Das Bedenken ist mir entstanden durch die scharfe, aggressiv oppositionelle Tendenz, die jetzt in manchen Kundgebungen unsrer autoritativen Parteipresse in Berlin an den Tag tritt, ich meine namentlich die drei Flugblätter und mehrere Artikel der ‚Nationalliberalen Korrespondenz‘. In dem ersten Entwurf zu unserm Wahlaufruf, den mir Lasker in Berlin vorlegte, war eine ähnliche oppositionelle Tendenz, aber ungleich weniger scharf, enthalten. Ich bat Lasker dringend, dies zu unterlassen, Stauffenberg war derselben Ansicht, und andern Tags bei der Feststellung ist ja, wie ich höre, namentlich durch Miquels Redaktion diese Tendenz auch völlig verschwunden, und der Aufruf hat eine mir ganz zusagende Gestalt gewonnen. An diesem Standpunkt müssen wir nach meiner Ansicht streng festhalten, aber die neueren Preßäußerungen aus Berlin sind leider mehr und mehr in eine ganz andre Bahn geraten, sie verhalten sich nicht nur abwehrend gegen die Angriffe auf uns, sondern sie haben eine aggressive Opposition eröffnet gegen die Regierung, gegen Bismarck persönlich. Das halte ich für einen verderblichen Weg, ganz geeignet, unsre Partei zu sprengen und starke Sezessionen zu veranlassen. Wenn unsre Partei, die ohnehin an Zahl geringer in den neuen Reichstag eintreten wird, außerdem auch noch an innerer Spaltung leiden, vielleicht gar sich auch äußerlich in zwei Teile zerlegen sollte, dann hat Bismarck sein frevelhaftes Spiel gewonnen. Wir sind nur stark, wenn wir alle bisherigen Elemente in derselben Geschlossenheit zusammenhalten. Sie sind der einzige, der diesen Zusammenhalt bewirken kann, der aber verloren geht, wenn von Berlin aus im Namen der Partei fortgesetzt so entschieden die Oppositionstrompete geblasen wird. Und deswegen meine dringende Bitte an Sie, daß Sie dem Einhalt tun wollen. Ich habe eben auch an Lasker in dem gleichen Sinne mit dringender Bitte geschrieben und habe ihn erinnert an ein recht schönes Wort, das er in seiner Saalfelder Rede Seite 37 gesprochen, daß nur gemeine Naturen das Unglück benutzen, um Streit anzufangen u.s.w. u.s.w. Das ist ein recht schönes Motto für den jetzigen Wahlkampf, das soll man wahr machen. Ich habe in meinen Kreisen hier überall den Gedanken gepredigt, daß wir die Auflösung und den Wahlkampf nur auffassen sollen als eine gemeinsame Abwehr aller Ordnungsparteien gegen die revolutionäre Sozialdemokratie, nicht als einen Kampf der Ordnungsparteien untereinander, nicht als einen Kampf zwischen Regierung und Liberalismus. Inmitten der heillosen Verwilderung, die Bismarck durch seine frivole Auflösung hervorgerufen hat, würde die Nation in wüstem Parteikampf sich selbst zerfleischen, wenn wir sie nicht konzentrieren auf ein greifbares, verständliches Ziel, gemeinsame Abwehr gegen die Sozialdemokraten. Dazu gehört Zusammenwirken von Regierung und Reichstag; wir bieten dazu die Hand, wir kommen der Regierung entgegen und wollen sie unterstützen genau so wie bisher, allerdings festhaltend an unsern bisherigen Grundsätzen und an unsrer bisherigen Stellung einer unabhängigen und selbständigen Unterstützung der Regierung. Einen Systemwechsel, eine Schwenkung vollziehen wir nicht, deshalb treten wir auch nicht in die

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