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Gründungsaufruf des Vereins der deutschen Katholiken (8. Juli 1872)

Die von der deutschen Zentral- und den Einzelregierungen erlassenen kirchenfeindlichen Gesetze führten zur weiteren Politisierung und Organisation der Katholiken in diversen Vereinen. Der folgende Gründungsaufruf des Vereins der deutschen Katholiken (1872), „An die deutschen Katholiken“, betont zwar patriotische Loyalität, verlangt aber die Abwehr kirchenfeindlicher Gesetze. Er fordert alle Katholiken im Namen der Wahrheit und Gerechtigkeit auf, sich im Kampf zusammen zu tun gegen den Staat, gegen die liberale Presse und liberalen Parlamentarier und gegen all jene, die die „Existenz der katholischen Kirche in Deutschland überhaupt“ bedrohen. Das Manifest erteilt den vertrauten Ratschlag, „dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“.

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Die Lage der deutschen Katholiken ist unverkennbar eine sehr ernste geworden. Wer sich darüber bis jetzt einer Täuschung hingeben konnte, den müssen die jüngsten Ereignisse endlich belehren. Tage sind über das katholische Deutschland hereingebrochen, wie sie von den treuen Söhnen der Kirche, welche in den Schlachten des letzten Krieges für das Vaterland bluteten, nicht geahnt werden konnten; Erfahrungen haben die Katholiken gemacht, welche einen beklagenswerten Mißton in den Siegesjubel des neuen deutschen Reiches bringen mußten. Wir leben in Zuständen, welche man Verfolgung der Kirche zu nennen berechtigt ist, selbst wenn die kirchenfeindlichen Blätter nicht täglich von dem ›Vernichtungskampfe‹ sprächen, welcher gegen die Kirche geführt werden soll.

Man begünstigt Spaltung und Abfall in der katholischen Kirche, selbst auf die Gefahr hin, dem gläubigen Volke schwer zu sühnendes Ärgernis zu geben und Sakrilegien gleichsam zu autorisieren, welche die bereits drohenden Strafgerichte Gottes noch schrecklicher herausfordern. Man mischt sich von Staats wegen in die lehramtliche Tätigkeit der Kirche und maßt sich die Befugnis an, über den wesentlichen Inhalt der katholischen Lehre zu entscheiden: man bezeichnet einen Glaubenssatz, welchen wir Katholiken als göttlich geoffenbarte und von der Kirche auf ökumenischem Konzil feierlich verkündete Wahrheit festhalten, als im Widerspruch mit dem menschlichen Rechte, den Forderungen der Zeit und den Staatsgesetzen stehend, und deshalb als staatsgefährlich. Die Bischöfe, welche solchem Vorangehen der Staatsgewalt mit apostolischem Mute widerstehen, behandelt man als Übertreter des Gesetzes, sucht die Wirkungen ihrer richterlichen Gewalt zu vereiteln oder wenigstens zu schwächen, und stellt ihnen, als angeblich unbotmäßigen Untertanen, Prozeß und Temporaliensperre in Aussicht. Man verkehrt in solcher Weise die dem christlichen Staate obliegende Pflicht, die Kirche zu schützen, in die absolute Gewalt über die Kirche.

Damit wir aber über die Tragweite der kirchenfeindlichen Anstrengungen nicht länger im Unklaren bleiben, entzieht man der Kirche ihr heiliges tausendjähriges Recht auf die Schule, deren Gründerin sie ist; man tastet sogar ihre göttliche Mission auf die Erziehung überhaupt an. Daneben werden Ausnahmegesetze gegen den Klerus erlassen. Auf dem Reichstage selber ruft man die gerechte Entrüstung von Millionen Katholiken wach, indem man zur wahren Schmach des Jahrhunderts und zum Hohne alles Rechts die ehrwürdigen Orden der katholischen Kirche verfolgt; insbesondere aber die segensreich wirkende Gesellschaft Jesu durch längst widerlegte Verleumdungen aufs neue verdächtigt, dem ungerechtesten Hasse preisgibt und mit Hintansetzung alles Billigkeitsgefühls darauf ausgeht, die gefeierten Prediger der Wahrheit, die trefflichen Erzieher der Jugend, die gründlich gebildeten Gelehrten, die fleckenlos reinen Priester, die barmherzigen Samariter des jüngsten Krieges, als gefährlichen Auswurf der Gesellschaft vom deutschen Boden zu verjagen.

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