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Gesetz betreffend die Beaufsichtigung des Unterrichts- und Erziehungswesens (11. März 1872)

Die Kontrolle über das Bildungs- und Schulwesen war während des Kulturkampfes ein zwischen der preußischen Regierung und der katholischen Kirche höchst umstrittenes Feld. Das preußische Schulaufsichtsgesetz von 1872 zielte auf die Durchsetzung vorbehaltloser Staatsgewalt ab sowie auf die Eliminierung geistlichen Einflusses in allen preußischen Bildungsstätten. Es übertrug die alleinige Zuständigkeit für die Schulaufsicht, bisher von der Geistlichkeit wahrgenommen, an staatlich ernannte Beamte, vermied jedoch sorgfältig, die existierenden Kompetenzen der Gemeinden in diesen Bereichen einzuschränken. Wie bei anderen Aspekten des Kulturkampfes, wurde diese Politik in vielen nicht-preußischen Teilen des Reiches weniger rigoros oder gar locker gehandhabt. Selbst in den preußischen Gebieten gab es in dieser Hinsicht Unterschiede.

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Gesetz betreffend die Beaufsichtigung des Unterrichts- und Erziehungswesens vom 11. März 1872



§ 1. Unter Aufhebung aller in einzelnen Landestheilen entgegenstehenden Bestimmungen steht die Aufsicht über alle öffentlichen und Privat-Unterrichts- und Erziehungs-Anstalten dem Staate zu.

Demgemäß handeln alle mit dieser Aufsicht betrauten Behörden und Beamten im Auftrage des Staates.

§ 2. Die Ernennung der Lokal- und Kreis-Schulinspektoren und die Abgrenzung ihrer Aufsichtsbezirke gebührt dem Staate allein.

Der vom Staate den Inspektoren der Volksschule ertheilte Auftrag ist, sofern sie dies Amt als Neben- oder Ehrenamt verwalten, jederzeit widerruflich.

Alle entgegenstehenden Bestimmungen sind aufgehoben.

§ 3. Unberührt durch dieses Gesetz bleibt die den Gemeinden und deren Organen zustehende Theilnahme an der Schulaufsicht, sowie der Art. 24 der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850.

§ 4. Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten wird mit der Ausführung dieses Gesetzes beauftragt.



Quelle: Preußische Gesetz-Sammlung, 1872, S. 183.

Abgedruckt in Ernst Rudolph Huber und Wolfgang Huber, Hg., Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 2, Staat und Kirche im Zeitalter des Hochkonstitutionalismus und des Kulturkampfs 1848-1890. Berlin: Duncker & Humblot, 1976, S. 530.

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