GHDI logo


Kabinettsorder Kaiser Wilhelms II. über den Offiziersstand (29. März 1890)

Während der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. (1888-1918) wurde die Armee aus mehreren Gründen erheblich ausgebaut, einer dieser Gründe war die übersteigerte Angst vor einer „Einkreisung“. In dieser Kabinettsorder, nur wenige Tage nach Bismarcks Rücktritt erlassen, macht der Kaiser aus der Not eine Tugend. Um Quantität und Qualität der Armee auszubalancieren, bestimmt er, dass die entsprechende Vergrößerung des Offizierskorps königstreue Bürgersöhne umfassen soll: ein „Adel der Gesinnung“, nicht Reichtum und Privilegien, schreibt er, soll das Hauptkriterium für die Auswahl der Rekruten sein. Gleichzeitig wendet sich Wilhelm gegen überhöhte Finanzbeiträge seitens junger Offiziere, um die Armeelaufbahn für Anwärter aus dem Mittelstand attraktiver zu machen.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 2


[ . . . ] Die allmälige Vermehrung der Kadres der Armee hat die Gesammtzahl der etatsmäßigen Offizierstellen beträchtlich erhöht. Für dieselben einen geeigneten und möglichst zahlreichen Ersatz zu schaffen, ist ein dringendes Erforderniß, ganz besonders im Hinblick auf die Ansprüche, die der Kriegsfall an die Armee stellt. Gegenwärtig weisen fast alle Regimenter der Infanterie und der Feldartillerie erhebliche Lücken auf. Diese Lage macht die Heranziehung eines ausreichenden und geeigneten Ersatzes zu einer von Tag zu Tag wichtigeren und ernsteren Pflicht der Truppenkommandeure. Der gesteigerte Bildungsgrad unseres Volkes bietet die Möglichkeit, die Kreise zu erweitern, welche für die Ergänzung des Offizierkorps in Betracht kommen. Nicht der Adel der Geburt allein kann heutzutage wie vordem das Vorrecht für sich in Anspruch nehmen, der Armee ihre Offiziere zu stellen. Aber der Adel der Gesinnung, der das Offizierkorps zu allen Zeiten beseelt hat, soll und muß demselben unverändert erhalten bleiben. Und das ist nur möglich, wenn die Offizieraspiranten aus solchen Kreisen genommen werden, in denen dieser Adel der Gesinnung zu Hause ist. Neben den Sprossen der adligen Geschlechter des Landes, neben den Söhnen Meiner braven Offiziere und Beamten, die nach alter Tradition die Grundpfeiler des Offizierkorps bilden, erblicke Ich die Träger der Zukunft Meiner Armee auch in den Söhnen solcher ehrenwerther bürgerlicher Häuser, in denen die Liebe zu König und Vaterland, ein warmes Herz für den Soldatenstand und christliche Gesittung gepflegt und anerzogen werden. Ich kann es nicht gutheißen, wenn manche Kommandeure sich für die Heranziehung des Offizierersatzes eigene, einseitige Grundsätze schaffen, wenn beispielsweise die Grenzen der erforderlichen wissenschaftlichen Bildung so eng gezogen werden, daß für die Annahme eines jungen Mannes die Ablegung der Abiturientenprüfung als unabweisbare Bedingung hingestellt wird. Ich muß es mißbilligen, wenn der Eintritt abhängig gemacht wird von einer übermäßig hohen Privatzulage, welche die Söhne wenig begüterter, aber nach Gesinnung und Lebensauffassung dem Offizierkorps nahestehender Familien der Armee fernhalten muß. Um solchen Unzuträglichkeiten Einhalt zu thun, spreche Ich Meinen Willen dahin aus, daß in der Regel die Kommandeure bei der Infanterie, den Jägern, der Fußartillerie und den Pionieren nicht mehr als 45 Mark, bei der Feldartillerie nicht mehr als 70 Mark und bei der Kavallerie nicht mehr als 150 Mark an monatlicher Zulage fordern sollen. Daß die Verhältnisse großer Garnisonen und speziell diejenigen der Truppentheile des Gardekorps geringe Erhöhungen erforderlich machen können, verkenne Ich nicht. Aber Ich erachte es als den Interessen der Armee nachtheilig, wenn bei der Infanterie und den Jägern etc. die Forderungen an Privatzulagen bis auf 75, und 100 Mark – an einzelnen Stellen sogar darüber hinaus – gesteigert sind, und wenn dieselben bei der Kavallerie, namentlich bei der Garde, eine Höhe erreicht haben, welche es dem ländlichen Grundbesitzer nahezu unmöglich macht, die Söhne der ihm lieb gewordenen Waffe zuzuführen. Mit solchen übertriebenen Ansprüchen wird der Offizierersatz nach Umfang und Beschaffenheit beeinträchtigt. Ich will nicht, daß in Meiner Armee das Ansehen der Offizierkorps nach der Höhe der Eintrittszulage bemessen werde, und schätze diejenigen Regimenter besonders hoch, deren Offiziere sich mit geringen Mitteln einzurichten und doch ihre Pflicht mit der Befriedigung und Freudigkeit zu erfüllen wissen, die den Preußischen

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite