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„Die Türken kommen“ Wie die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung soeben bekanntgibt, wird in Zukunft neben der Anwerbung von Arbeitskräften in Italien, Spanien und Griechenland auch die Vermittlung von türkischen Arbeitskräften erfolgen. Auf Grund einer vorläufigen Absprache mit den zuständigen Stellen der türkischen Regierung sollen in Zusammenarbeit zwischen der Bundesanstalt und der türkischen Arbeitsverwaltung Arbeitskräfte in der Türkei angeworben und in die Bundesrepublik vermittelt werden. Aus gelegentlichen Pressenotizen der letzten Zeit war bereits zu entnehmen, daß eine solche Absicht bei den deutschen Stellen bestand; trotzdem ist die Meldung über die Verwirklichung dieser Pläne etwas überraschend. Denn einmal ist das Reservoir an Arbeitskräften in den bisherigen Anwerbeländern noch lange nicht erschöpft, zum andern sollen die der EWG angehörenden Länder bei der Anwerbung von Arbeitskräften einen gewissen Vorrang vor weiteren, bisher nicht einbezogenen Ländern haben. Hinzu kommt, daß man die Türkei zu den Ländern rechnen muß, die in die Entwicklungshilfe einbezogen sind, so daß die Frage nicht unberechtigt ist, ob es sinnvoll erscheint, einem solchen Lande, das bei dem weiteren Ausbau seiner Wirtschaft auf seine Arbeitskräfte angewiesen ist, eben diese Arbeitskräfte zu entziehen. Allerdings wird man hierbei wieder berücksichtigen müssen, daß diese Arbeitskräfte nicht sämtlich und zum gleichen Zeitpunkt im eigenen Lande benötigt werden. Zur praktischen Durchführung der Zusammenarbeit zwischen der Bundesanstalt und der türkischen Arbeitsverwaltung wurde eine vorläufige Regelung getroffen, die folgendes vorsieht: Mit Wirkung vom 15. Juli 1961 ist in Istanbul eine deutsche Verbindungsstelle eingerichtet worden, die sich mit der Vermittlung geeigneter türkischer Arbeitskräfte nach der Bundesrepublik befassen soll. Die Vermittlung wird vorerst auf die Landesarbeitsamtsbezirke Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg beschränkt, die bereits eine größere Zahl türkischer Arbeitnehmer beschäftigen und in denen bereits entsprechende Erfahrungen über die Beschäftigung türkischer Arbeitnehmer vorliegen. Da die Deutsche Bundesbahn an der Gewinnung eines größeren Kontingents von Strecken- und Ladearbeitern interessiert ist, gilt diese Beschränkung nicht für Aufträge der Deutschen Bundesbahn. Vermittlungsaufträge für türkische Arbeitskräfte können den Arbeitsämtern ab sofort erteilt werden, vorerst jedoch nur, soweit es sich um Aufträge für männliche, nichtnamentliche Kräfte handelt. Bei ungelernten und anzulernenden männlichen Arbeitskräften, die in beliebig großer Zahl zur Verfügung stehen, können zunächst nur Aufträge auf Vermittlung von größeren Gruppen (mindestens 25 Kräfte) entgegengenommen werden. Darüber hinaus wird es vermutlich möglich sein, qualifizierte Kräfte der Textilindustrie, Metallindustrie, des Nahrungs- und Genußmittelgewerbes, des Schiffsbaues, des Bau- und Bauausbaugewerbes, des Bergbaues sowie Steingewinner und -verarbeiter zu vermitteln. Dabei muß aber beachtet werden, daß die qualifizierten türkischen Kräfte zwar über gewisse Berufskenntnisse und Berufserfahrungen verfügen, daß ihre praktische Ausbildung aber nicht so systematisch erfolgt, wie dies in der Bundesrepublik üblich ist. Für jede angeforderte türkische Arbeitskraft ist – vorbehaltlich einer endgültigen Regelung durch den Verwaltungsrat der Bundesanstalt – eine Unkostenpauschale in Höhe von 120 DM – entsprechend dem für die Anwerbung in Griechenland – und ein Entfernungszuschlag von 30 DM, insgesamt also 150 DM zu entrichten. Die in Istanbul eingerichtete deutsche Verbindungsstelle wird die Arbeitsämter, sobald sie einen ausführlichen Überblick über das Arbeitskräfteangebot gewonnen hat, über die Vermittlungsaussichten regelmäßig informieren. Interessierten Arbeitgebern ist zu empfehlen, sich wegen weiterer Auskünfte an das für sie zuständige Arbeitsamt zu wenden. Quelle: „Die Türken kommen“, Arbeitgeber, 1961, S. 480 ff.; abgedruckt in Christoph Kleßmann und Georg Wagner, Hg., Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945-1990. München, 1993, S. 191-93. |