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Exklusivität und die Unternehmerschaft in Remscheid (1880er Jahre)

Das Bewusstsein von Standesunterschieden formte nicht nur die Beziehungen zwischen den Schichten, sondern festigte auch die feinen Abstufungen unter ihnen, wie aus diesem Bericht eines angeheirateten Mitglieds der bedeutenden Industriellenfamilie Mannesmann aus Remscheid hervorgeht. Mit der sich stetig beschleunigenden Industrialisierung setzten sich die gesellschaftlichen Eliten zunehmend aus Kaufleuten und Industriellen zusammen, deren Vermögen die Grundlage ihres Status bildete. Um eine Zugehörigkeit zur oberen Mittelschicht aufrechtzuerhalten, waren oft lange Arbeitszeiten notwendig.

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Remscheid bot in seinem gesellschaftlichen Aufbau das gleiche Bild wie viele andere kleine Städte der damaligen Zeit. Ohne Verkehr mit einer naheliegenden Großstadt, durch die Fabrikation seiner Spezialitäten in sich abgeschlossen und von der Umgebung fast unbeeinflußt, gliederte sich die Gesellschaft wie die Stadtverwaltung auf Grund des damals ausschlaggebenden Klassensteuergesetzes. Die reicheren, an der Spitze der Remscheider Industrie stehenden Familien bildeten daher eine in sich abgesonderte Klasse der Remscheider Bewohner. Natürlich gab es in dieser Klasse verschiedene Höhenstufen, also auch weniger bedeutende Firmen, deren Familien wohl auch zur „Gesellschaft" gehörig betrachtet wurden, aber doch nicht das gleiche Ansehen genossen. Die allsonntäglichen Zusammenkünfte nachmittags von 5 bis 8 Uhr im Hotel „Zum Weinberg" waren zumal für den beobachtenden Fremden hochinteressant. Hier fanden sich um diese Zeit alle Herren der Gesellschaft zu einem Glase Wein zusammen. Man saß getrennt an Tischen je nach der Höhe des Steuerzettels, und hielt dabei sehr auf Ordnung und duldete keine Überhebungen. Nur ausnahmsweise, meist nur aus verwandtschaftlichen oder geschäftlichen Gründen wurde die Steuergrenze durchbrochen. So gab es z. B. als obersten Rang einen sogenannten „zehnkäntigen" Tisch, der auch Kommerzienratstisch genannt wurde, an dem zwar nicht nur Kommerzienräte, sondern auch Brüder, Schwäger, Vettern dieser Herren saßen. An einem andern angesehenen Tisch saßen 12 ältere Herren, die böse Zungen „die zwölf Apostel" nannten.

Die verwandtschaftlichen Beziehungen der Remscheider Familien untereinander waren ungemein weitverzweigt. Für einen zugezogenen „hergelopenen Kerl" waren sie vollständig unentwirrbar, so daß man sich in Gesellschaft hüten mußte, einen Abwesenden abfällig zu kritisieren, weil fast immer einer der Anwesenden mit ihm „verwandt" war. Man rechnete zur Verwandtschaft gehörig und daher mit Vetter und Kusine zu titulieren alle in noch so entfernten Verwandtschaftsgruppen Angeheiratete. Ich hatte z. B. gelegentlich eines Essens einmal eine Remscheiderin als Tischnachbarin, die mir erzählte, daß sie nicht weniger als 83 Vettern und Kusinen, fast alle in Remscheid wohnend, besitze. Diese Zahl zeigt aber außerdem auch, in welch ausgedehntem Maße die Heiraten der Remscheider Gesellschaft untereinander stattfanden. Leider folgte daraus häufig eine Degeneration mit ihren hinlänglich bekannten Folgen. Die „hergelopenen Kerls" empfanden diese große Versippung der Remscheider Gesellschaft manchmal recht bedrückend. Man hörte daher oft bittere Klagen und recht abfällige Urteile über die Remscheider Gesellschaft; so habe ich, zumal aus Juristenkreisen, des öfteren den Wunsch gehört: „Wäre ich aus diesem langweiligen Nest nur erst wieder fort". Für diese Art Leute war es besonders schwer, sich der ganz aufs Geldverdienen eingestellten kaufmännischen Gesellschaft anzupassen. Die Remscheider taxierten damals den Menschen in der Hauptsache nach der Höhe seiner Einnahmen und da schnitten die Staatsbeamten schlecht ab. Natürlich änderten sich diese Anschauungen mit der Zeit ganz wesentlich.

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