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Telefon und elektrisches Licht (um 1890)

Das Ende des 19. Jahrhunderts war eine Zeit, in der technische Innovationen der Allgemeinheit zugänglich wurden. Mit besonderem Augenmerk auf eine Familie in der Stadt Weimar veranschaulicht diese Schilderung aus erster Hand das Fortschrittserlebnis zuhause, wo Kerzen und Petroleumlampen durch Gasbeleuchtung ersetzt wurden und etwas später elektrisches Licht und das Telefon zu den brandneuen Entwicklungen der Technik zählten. Verschiedene Generationen Deutscher erwiesen sich als mehr oder weniger empfänglich für diese Neuerungen, und diese Unterschiede werden von dem Kulturhistoriker und Autor Edwin Redslob (1884-1973) in diesem Rückblick auf seine Kindheit subtil festgehalten.

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„Onkel Gustav hat eine Lampe, die kann man quer auf den Tisch legen, und es brennt nichts an." Mit diesen Worten kam mein Bruder eines Tages aus der Stadt zurück, und sie waren für mich die erste Verkündung des elektrischen Lichtes. Wir sind noch mit Petroleum aufgewachsen; in der Mitte des langen Ganges zwischen den Wohnräumen auf der einen und den Schlafzimmern und der Küche auf der anderen Seite stand ein schmaler Tisch, und auf ihm waren die Lampen wie die Grenadiere aufgebaut. An der Spitze Vaters Studierlampe mit dem grünen Schirm, die er, wenn es Abend wurde, selbst anzündete, nachdem er vorher noch einmal den Docht geglättet hatte, damit sie nicht blake. An der Wand hingen Lampen ohne Schirm, hinter denen eine runde Messingscheibe das Licht reflektierte. Sie waren für Flur, Treppenhaus und Küche bestimmt. Außerdem gab es Einsatzlampen für die Kronleuchter, die größte für das Licht über dem Eßtisch, an dem wir auch noch nach dem Abendbrot saßen, wenn der Vater uns vorlas, während wir zeichneten oder schnitzten oder Briefmarken auf Falzen ins Album klebten. Das waren behagliche Stunden, und die Beleuchtung war zwar nicht stark, aber von einer wohltuenden schummerigen Wärme. Gustav Freytags »Ahnen«, Viktor von Scheffels »Ekkehart« und Fritz Reuters »Ut mine Stromtid«, die der Vater uns vorlas, kann ich mir gar nicht ohne die Petroleumlampe denken.

Das Petroleum, das ja den Flur nie ohne seinen unangenehmen Geruch gelassen hatte, wurde nun verdrängt. Zunächst gab es Kronleuchter und Wandleuchter mit Gasflammen, die oft beängstigend zischten, so daß man nie wußte, ob das Haus nicht demnächst in die Luft fliegen würde. Dann aber bekamen auch wir elektrisches Licht. Es war unangenehm grell; denn da es doch so teuer war, dachte man nicht daran, die Birnen abzublenden oder hinter Schirmen zu verstecken. Ein Stück Behagen hörte auf, aber immerhin: Man hatte nun das neue Licht und ging mit der Zeit. Vater freilich behielt seine Studierlampe; denn man hatte Ofenheizung, die nachts erkaltete, so daß die ausstrahlende Wärme der Petroleumflamme im Studierzimmer wohltat.

Etwa zur selben Zeit kamen nach Weimar die ersten Telefone. So ein Telefonapparat stand nicht etwa auf dem Tisch, sondern hing an der Wand und wurde mit einer Kurbel in Betrieb gesetzt. Als ich einmal den Vater auf die Gothaische Bank begleitete, wo er allmonatlich etwas Erspartes einzahlte, was später für seiner Söhne Studium dienen sollte, zeigte mir der Kassierer die neue Erfindung und stellte mich auf einen Stuhl, damit ich auch einmal telefoniere. Ich wußte aber nicht, mit wem und was. Da verband er mich mit dem Hotel »Zum Elefanten«, ich solle einfach fragen, ob Herr Direktor Müller aus Berlin schon da sei, dann würde mir der Portier eine Antwort geben, und ich könnte seine Stimme aus der Ferne hören. Mich überwältigte das Staunen und die Freude über das unerhörte Geschehen, und als wir aus der Bank heraus waren, rannte ich meinem Vater davon und lief ganz schnell die Strecke bis zum »Elefanten« am Marktplatz ab. Ich brauchte dafür doch mindestens vier bis fünf Minuten, aber die Stimme des Portiers war in derselben Sekunde zu mir gedrungen, zu der er im Hotel gesprochen hatte. Der Vater kaufte uns dann ein eben aufgekommenes Spielzeug, ein Kindertelefon, das aus zwei mit Pergamentpapier bespannten Papprahmen und einem langen Bindfaden zwischen den Scheiben bestand. Mein Bruder und ich hatten jeder im Garten unseren besonderen Baum, von dem aus wir leicht einer mit dem anderen sprechen konnten. Jetzt aber hielten wir das neue Instrument der eine an den Mund, der andere an das Ohr und suchten uns mit Hilfe des Bindfadens verständlich zu machen. Das war zwar viel schwerer als das einfache Sprechen vorher, dafür aber war es technisch und zeitgemäß.



Quelle: Edwin Redslob, Von Weimar nach Europa. Erlebtes und Durchdachtes. Berlin, 1972, S. 28-30.

Abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul, und Peter-Christian Witt, Hg., Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871-1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1977, S. 47-49.

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