1. Die Strafvorschriften gegen die männliche Homosexualität (§§ 175 f. StGB) verstoßen nicht gegen den speziellen Gleichheitssatz der Abs. 2 und 3 des Art. 3 GG, weil der biologische Geschlechtsunterschied den Sachverhalt hier so entscheidend prägt, dass etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten. 2. Die §§ 175 f. StGB verstoßen auch nicht gegen das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2, Abs. 1 GG), da homosexuelle Betätigung gegen das Sittengesetz verstößt und nicht eindeutig festgestellt werden kann, dass jedes öffentliche Interesse an ihrer Bestrafung fehlt.
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Urteil des Ersten Senats vom 10. Mai 1957 – 1 BvR 550/52 – in dem Verfahren über die verbundenen Verfassungsbeschwerden 1. des Kochs Günther R. gegen das Urteil der Großen Strafkammer 6 des Landgerichts Hamburg vom 14. Oktober 1953 – 2 KLs. 86/52 - , 2. Des am 26. April 1956 verstorbenen Kaufmanns Oskar K. gegen das Urteil der Großen Strafkammer 4 des Landgerichts Hamburg vom 2. Februar 1952 – 2 KLs. 254/51 -.
Entscheidungsformel:
1. Die Verfassungsbeschwerde des Günther R. wird zurückgewiesen.
2. Die Verfassungsbeschwerde des Oskar K. ist durch seinen Tod erledigt.
Gründe:
A.
Mit der Verfassungsbeschwerde bekämpfen die Beschwerdeführer ihre Verurteilung wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht; darüber hinaus erstreben sie die Feststellung der Nichtigkeit der §§ 175 f. StGB.
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Beide Beschwerdeführer haben ihre Verfassungsbeschwerde darauf gestützt, dass die gegen sie ergangenen Strafurteile die §§ 175 und 175 a StGB zu Unrecht als geltendes Recht behandelt hätten. § 175 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 28. Juni 1935 sei inhaltlich nationalsozialistisches Gedankengut, habe daher mit dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft seine Geltung verloren. Dieses Gesetz beruhe auf dem sogenannten Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, das verfassungswidrig gewesen sei; infolgedessen seien die darauf beruhenden Gesetze nichtig. – Die §§ 175, 175 a StGB verstießen ferner gegen Art. 2 und 3 GG.
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Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst in der Sache des Beschwerdeführers K…die Anhörung von Sachverständigen zu folgenden Fragen beschlossen:
a) Bestehen im Triebleben beim Mann und bei der Frau wesentliche Unterschiede, die sich auch bei gleichgeschlechtlicher Betätigung auswirken?
b) In welcher Richtung stellen männliche Homosexualität einerseits und lesbische Liebe andererseits eine soziale Gefährdung dar? Sind ihre Auswirkungen und Erscheinungsformen in Familie und Gesellschaft verschieden? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang der große Frauenüberschuss und die Häufigkeit der gemeinsamen Haushaltführung zweier oder mehrerer Frauen (Gefahr bösartigen Klatsches und der Erpressung?)
c) Besteht ein Unterschied in der Aktivität und Hemmungslosigkeit bei gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern einerseits und zwischen Frauen andererseits, so dass damit der Grad der Verbreitung solcher Handlungen und die Gefahr zur Verführung insbesondere Jugendlicher hierzu verschieden ist? Tritt die männliche Homosexualität im Gegensatz zur lesbischen Liebe stärker in der Öffentlichkeit in Erscheinung? Gibt es eine Prostitution der männlichen Homosexuellen und der Lesbierinnen?
Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hat das Gericht gutachtliche Äußerungen der nachbenannten Sachverständigen eingeholt.
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