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Auszüge aus zwei Predigten von Friedrich August Tholuck: „Was ist die menschliche Vernunft wert?” (um 1840) und „Wann ist die größere bürgerliche Freiheit für das Volk ein Glück?” (1848)

Der Erweckungstheologe Friedrich August Tholuck (1799-1877), ein rühriger Prediger und produktiver Autor, war ein einflussreicher Gegner des religiösen Rationalismus und seiner Bibelkritik in Deutschland. Die Abschnitte aus zwei seiner Predigten, von denen eine während der 1848er Revolution gehalten wurde, sind beispielhaft für die leidenschaftlichen Appelle der Erweckungsbewegung an die Glaubensfestigkeit der Kirchenmitglieder und – typisch für den damaligen politischen Konservatismus der meisten frommen Protestanten – ihre scharfe Kritik an Forderungen nach Freiheit, Demokratie und Bürgerrechten.

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XVI. Was ist die menschliche Vernunft wert?

Meine Geliebten! Ich habe nach dem Befehle des Herrn selbst zu euch geredet von den Kämpfen und Parteiungen der Zeit; — ich sage: nach dem Befehle des Herrn selbst, denn der Herr ist es, der seinen Jüngern Befehl gethan, daß sie auf die Zeichen der Zeit achthaben sollen. Auf die Zeitrichtungen haben wir einen Blick geworfen, auf die Zeitthemata wollen wir nun auch einen Blick werfen, auf jene Themata, welche zu Losungsworten geworden sind zur rechten und zur linken, worüber man nun wieder verhandeln hört auf den Gassen und in den Schenken, auf den Eisenbahnen und in den Postwagen. Wie wollten wir dafür Gott danken, daß die Religion endlich wieder einmal von der Kanzel in das Leben der Menschen hineingetreten ist, könnte man, wenn auch nur manchmal, wahrnehmen, daß hinter dem offenbaren Schwatzen ein geheimes Forschen und Beten steht, daß die Leute nicht bloß fragen: was muß ich wissen, um klüger zu werden? sondern auch: was muß ich thun, um selig zu werden? Indes selbst dieser fleischliche Eifer soll uns lieber sein, als gar keiner, selbst wenn's lauter Eifer nicht bloß um, sondern gegen die Religion wäre! Wieviel hätten wir wenigstens Gewinn davon, wir, die wir wissen, an wen wir glauben, wenn jener falsche Eifer unsern rechten weckte, wenn, je lauter von jenseits her das Nein! ertönt, desto freudiger unser Ja! hinausschallte ins Land! Seht, hat nicht schon das sein Gutes, daß ihr, die ihr von eurem Glauben nicht lassen wollt, jetzt auch lernen müsset, was ihr antworten könnet, wenn sie euch nach dem Grunde eurer Hoffnung fragen. Dazu will ich nun mitwirken, darum will ich von den Zeitfragen predigen, damit ihr habet, was ihr antworten könnet, damit ihr aufs neue euch bewußt werdet, daß wir auf einem guten, auf einem ewigen Grunde stehen!

Das Thema nun, was obenansteht unter den Losungsworten dieser Zeit, das ist die Frage: was die menschliche Vernunft wert sei? Aber von welchem der vielen Lehrer und Weltweisen werden wir die Antwort holen? Wir, die wir in Christo einen König der Wahrheit haben und nicht mehr herumzugehen brauchen, um uns bei den Edlen und Fürsten im Lande der Wahrheit Antwort auf unsere Fragen zu erbetteln, wir treten auch mit dieser Frage ihn an und keinen anderen. Der, von dem geschrieben steht: „Der ist das wahrhaftige Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen“, — von ihm und von keinem andern wollen wir die Antwort hören; von ihm wissen wir: Er weiß, was er redet, denn er redet, was er vom Vater gehört hat. Nun so soll er uns denn sagen: was die menschliche Vernunft wert sei; vernehmet seine Antwort Matth. 6, 20—24, wo er also spricht:

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