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Max Brod, „Die Frau und die neue Sachlichkeit” (1929)

Dieser Text erschien in der Publikation Die Frau von Morgen, wie wir sie wünschen (1929), einer Sammlung von Texten ausschließlich männlicher Autoren über die veränderte Rolle und Erscheinung der Frau. Der Autor des Textes, der Schriftsteller und Kritiker Max Brod (1884-1968) ist heute hauptsächlich als Nachlassverwalter und Herausgeber der Werke Franz Kafkas bekannt. Seine hier dargelegte Vorstellung davon, welche Rolle die Frau dem Stil der „Neuen Sachlichkeit“ gegenüber einnehmen sollte, stellt ein gutes Beispiel für die weitverbreitete männliche Haltung gegenüber dem Typus der „Neuen Frau“ dar.

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Die Frau und die neue Sachlichkeit

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Die neueste Literatur bekommt mehr und mehr einen harten, kalten männlichen Zug. Ganz ebenso wie die moderne Musik antiromantisch, antisentimental klingt. Von Liebe darf weder geredet noch gesungen werden. Das verträgt sich nicht mit der »Sachlichkeit«, dem obersten Postulat der Zeit. Die merkwürdige Schwenkung besteht eigentlich in folgendem: hart und maschinenmäßig formt sich die Zeit seit Beginn des 19. Jahrhunderts, seit damals jedenfalls in immer deutlicherem Ausdruck – die Dichtung nahm jedoch eine Proteststellung ein, Flaubert erkannte wohl den erbarmungslos nüchternen Mechanismus unserer Epoche, seine Helden aber (die Bovary wie der sentimentale Fréderic) zerreiben sich, weil sie sich diesem Mechanismus nicht anpassen können. Dies war im wesentlichen durch Dezennien die Grundhaltung des Dichters. Im geheimen blieb er Feind der Zeitentwicklung, Feind des Amerikanismus. Das Problem taucht auf: Haben die neuen Dichter submittiert, haben sie ihren Kampf im Namen des Geistes aufgegeben, hat die nüchterne Zeit jetzt endgültig über alle Proteste weg gesiegt?

Liebe, Liebessehnsucht galt ehedem als Einblick in den tieferen Sinn des Daseins, Leidenschaft einer Frau und für eine Frau erhellte zauberhaft jene Zusammenhänge, die sich in den bloß egoistischen Beziehungen zwischen Menschen des Alltags den stumpferen Sinnen entziehen. (Was hier von Liebe gesagt wird, gilt von jeder über den Alltag hinausschlagenden adeligen Herzenswallung.) – Die junge Generation hat aus dem Krieg ein sehr berechtigtes Mißtrauen gegen alles, was Herzenswallung ist, mitgebracht. Hinter wie vielem, was edle Leidenschaft schien, hinter wie schönen Farben von Patriotismus, Ver sacrum, nationalem und erotischem Aufschwung lag nichts als Phrase, lag Ärgeres als Phrase: niedrigstes Interesse von Kriegsverdienern, politisierenden Kapitalisten! Da ist es zunächst höchst richtig und gesund, wenn eine Generation von Desillusionierten heraufwächst. Wenn man mit Remarque und Glaeser erlebt hat, wie alles sich auf den einfachen Nenner der Todesangst und eines Gänsebratens bringen läßt, wenn man solche Not und nie zu vergessende Erniedrigung der Menschenkreatur erlebt hat, dann hat man das gute Recht, alles für Schwindel zu halten – mit einziger Ausnahme des Triebes, derartige Greuelzeiten in Hinkunft von der Menschheit abzuwehren.

In dieser auf elementare Defensive vereinfachten Situation hat in der Tat Liebe und Frau und Herz und Seele nichts zu suchen. Diese Jugend verteidigt sich nur; Erlebnisse des Herzens waren stets Eroberungszüge in unbekanntes Land – im Sinn der heutigen Autoren also Luxus, Distraktion von wesentlicherem Ziel.

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