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Die Notlage des alten Glaubens – Peter Canisius an Giovanni Kardinal Morone (1576)

Bis zur Mitte der 1570er Jahre hatte die katholische Kirche große Teile des Reiches verloren: über ein Dutzend Diözesen einschließlich der Erzbistümer Magdeburg und Bremen sowie hunderte von Abteien und Konventen. Im gesamten Norden war keine einzige Herrscherdynastie dem alten Glauben treu geblieben. Währenddessen hatten die katholischen Bischöfe auch über ein Jahrzehnt nach dem Konzil von Trient noch kein allgemeines Reformprogramm für ihre Kirche und deren Würdenträger entworfen.

1576 schickte der Jesuit Peter Canisius (Kanys, 1521-97) seine Einschätzung der „Mittel, mit denen man heutzutage Deutschland helfen kann“ nach Rom. Er korrespondierte dort mit Giovanni Kardinal Morone (1509-80), dem Präsidenten der deutschen Kongregation, welche die Reformbemühungen im Reich überwachte, und Roms Experte für deutsche Angelegenheiten. Canisius‘ Bericht ist vor allem eine scharfe Verurteilung der deutschen katholischen Prälaten seiner Zeit. Er fand jedoch Beachtung, da dessen Verfasser, ein Jesuit und Niederländer, keinerlei persönliches Interesse an den Zuständen in Deutschland, doch genaue Kenntnis der Situation in Rom hinsichtlich des deutschen Kardinalskollegiums, der deutschen Gemeinde sowie der päpstlichen Politik hatte. Zudem beweist der Bericht, dass Rom im Jahr 1576, ein halbes Jahrhundert nach dem Deutschen Bauernkrieg, noch immer realistische Einschätzungen der Situation durch vertrauenswürdige Informanten empfing.

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Einige Mittel, mit denen man heutzutage Deutschland helfen kann.

Unter andern Mißständen, die jetzt nach dem verderblichen „Evangelium“ Luthers in Deutschland um sich greifen, stehen folgende nicht an letzter Stelle, durch welche die Zahl der Katholiken von Tag zu Tag kleiner wird, nämlich eine völlige Unwissenheit im Glauben, die Unkenntnis der Kirche und deren Verachtung. Ferner ist nicht nur das Leben der Laien verderbt, sondern auch das des ganzen Klerus und vor allem der Prälaten und der Ordensleute. Diese Mißstände zerstören neben der Häresie den Rest der Kirche wie „Eber aus dem Walde“ (Ps 79, 14), so daß es ohne rechtzeitige Gegenmaßnahmen unmöglich wird, die Katholiken vor dem Abfall zurückzuhalten oder die Häretiker wieder zu gewinnen.

Dadurch wird dieses Übel fast unheilbar, daß der niedere und höhere Klerus die römische Kirche nicht als Mutter und Oberhaupt aller Kirchen anerkennen und nicht auf ihre Mahnung und Lehre hören will; wenn die ganze Gemeinschaft auf sie hörte, wie es recht wäre, und auf ihr Geheiß hin alles geordnet würde, dann würden sicher die Mauern Jerichos zusammenstürzen und der Sieg würde für Israel errungen. Zwar hat nun diese Wunde wie ein Krebs gewuchert, so daß man scheinbar keine Gegenmaßnahmen mehr dulden will; aber man muß doch Mittel dagegen suchen und versuchen, mit denen man so vielen und großen Mißständen begegnen kann, damit das Unkraut ausgerissen werde und die Frucht wachse und überreich in die Scheunen des Herrn geborgen werde. Von diesen Gegenmitteln will ich nur jene ganz kurz anführen, die man vielleicht eher hinnimmt, weil sie leichter sind, die aber doch einmal sicher große Frucht hervorbringen.

1. Das erste und nächstliegende Mittel ist – damit hat unser Heiliger Vater ja schon den Anfang gemacht –, daß er weiterhin für einen guten Unterricht der deutschen Jugend in verschiedenen Seminarien sorgt, die er auf seine Kosten bauen lassen möge. Zwar hilft das bereits errichtete Deutsche Kolleg in Rom schon viel zu diesem Ziel. Weil aber die Kosten dort höher sind und viele das Klima nicht ertragen und immer wieder krank werden, und wegen anderer Ungelegenheiten scheint es ratsamer zu sein, in Rom selbst nur eine kleine Zahl von Deutschen zu behalten und mehrere Seminarien in Deutschland selber zu errichten. Denn so könnten viel mehr Studenten untergebracht werden, viel leichter wäre die Erziehung zur wahren christlichen Haltung, in der wissenschaftlichen Ausbildung würden sie rascher vorwärtskommen, und der Apostolische Stuhl würde in Deutschland mehr bekannt und mehr geehrt. Aus derartigen Seminarien würden sicher nicht nur gelehrte, sondern auch in jeder Hinsicht erprobte junge Leute hervorgehen. So würden die Unwissenheit und die Sorge für materielle Vorteile und die Sittenlosigkeit verschwinden, und die übrigen darauf folgenden Übelstände würden abgestellt. Wenn diese einmal behoben sind, was darf man dann nicht für Deutschland erwarten! Die unscheinbaren Anfänge des Wiener Seminars sind dafür ein Beispiel.

2. Das zweite Mittel ist, daß der Heilige Vater mit den deutschen Bischöfen über die Errichtung solcher Seminare verhandelt, bis sie endlich etwas in Angriff nehmen. Wenn die Prälaten keine ganzen Seminarien bauen können oder wollen, dann sollte jeder wenigstens für acht, zehn oder mehr Studenten in einem der päpstlichen Seminare aufkommen. Diese sollen neben der scholastischen Theologie und den aktuellen Kontroversfragen besondere Vorlesungen über Gewissensfälle hören; hier ist ja die Unwissenheit am größten. Besondere Sorge soll man auch auf den Lebenswandel haben, und daß die Trunksucht, eine Wurzel vieler Mißstände in Deutschland, beseitigt werde. Denn was für eine Tragödie ist gewöhnlich ein schlechtes Leben mit dem Schein von Gelehrsamkeit!

3. Ein anderes Mittel ist, die Männerklöster in ihren früheren Stand zurückzuführen und zu reformieren; denn sie bringen ja in guter Ordnung viel Gutes hervor, aber ebenso viele Mißstände, wenn sie in Unordnung sind. Aber um das fertigzubringen – besonders bei den derzeitigen unruhigen Verhältnissen – wird es viel Arbeit kosten. Man könnte aber damit in einer Provinz Deutschlands den Anfang machen, indem von anderswoher gute Ordensleute dorthin geschickt würden mit Zustimmung der weltlichen Fürsten. Außerdem würde es ganz entsprechend sein, wenn man den Alumnen der Seminare nicht nur die Möglichkeit gäbe, sondern sie auch dazu anhielte, in einen Orden einzutreten. Denn da sie ja gut erzogen und ausgebildet aus den Seminarien kommen, können sie leicht die Klöster, in die sie eintreten, wenn auch nicht sofort, so doch im Laufe der Zeit reformieren. Das scheint ein ziemlich wirksames Mittel zu sein, was auch die gemachten Erfahrungen bestätigen.

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