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Aufsicht über die protestantischen Kirchen – Visitations- und Schulordnung aus der Kurpfalz (1556)

Die protestantische Reform von Schulen und Kirchen zog eine Vielzahl von Regelungen zu deren Säuberung, Erneuerung, Überwachung, Ermahnung und Besserung nach sich. Die hier wiedergegebene Ordnung stammt aus der Kurpfalz, wo es zwischen den späten 1550er Jahren und den 1580er Jahren innerhalb einer Generation nicht weniger als vier Konfessionswechsel gab. Sie illustriert das Bemühen, eine neue Kirchenordnung für eine Gemeinde einzuführen und aufrechtzuerhalten, deren Mitglieder nur teilweise bereit waren, sie zu akzeptieren. Es handelt sich um eine Visitationsordnung. Die protestantischen Fürsten und Reichsstädte übernahmen normalerweise die kirchlichen Pflichten und damit auch das Recht, ihren Gemeinden regelmäßige „Visitationen“ abzustatten, um festzustellen, wo ein Bedarf nach Verbesserung bestand.

Die erste Visitationsordnung der Pfalz wurde 1556 von Kurfüst-Pfalzgraf Ottheinrich (reg. 1556-59) erlassen. Das Original ist zwar verloren, doch dessen Inhalt ist aus einem erhaltenen Dokument (A) ersichtlich. Es beauftragte die Visitoren, die örtlichen religiösen Zustande sowie die Kompetenz des dort vorhandenen Klerus zu begutachten. Der lange, ausführliche Bericht der Visitoren veranschaulicht die administrativen Strategien, welche dem Prozess der religiösen Reform und konfessionellen Konsolidierung zugrunde lagen.

Da Reformen dieser Größenordnung sich nicht auf die Unterstützung derjenigen Untertanen verlassen konnten, welche unter der alten Ordnung gelebt hatten, setzten den Fürst und seine Berater ihre Hoffnungen in die Schulen. Sie beauftragten die Schulen damit, die zukünftigen Generationen von Untertanen in den Grundfertigkeiten sowie der neuen Religionslehre zu unterrichten. Ihnen war vollkommen bewusst, dass ein Versagen der Schulen ein Versagen der Kirchen nach sich ziehen musste. Die ebenfalls 1556 von Ottheinrich erlassene erste Schulordnung der Pfalz (B) unterstellte den Aufbau der Schulen, die Beurteilung der Lehrerqualifikation sowie den Lehrplan der fürstlichen Aufsicht.

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(A) Die pfälzische Kirchenvisitationsordnung von 1556


Relation der gehaltenen Visitation inn der churfürstlichen Pfalltz gethan. Dem durchleuchtigisten hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Otthainrichen Pfalltzhraven bey Rein, des heiligen Römischen Reichs Ertzdruchsessen und Churfürsten, Hertzogen in Nidern und Obern Bairn etc., unnserm gnedigsten Herrn, durch ihrer churfürstlichen Gnaden verordnete Kirchenvisitatores.

Anno 1556, den 2ten Novembris

[ . . . ] Im Haidlberger Ambt stets ubl gnug in der Kirchen; macht, das außgenomen ire wenig, vasst alle Pfarrer zum Tail Papisten oder aber sonnst ungeschickte und ungelerte Leut seind, zu dem arm; die sich auch mit irer aignen Handt Arbeit kömerlich des Hungers erweren mögen. Haben ire Kirchen und Gemainden groß geergert mit irer unbestendigkait, das sy numer zway mal zu dem Pabstumb und zu dem Evangelio getreten, den Menschen zu gefallen: und ire vil seind, die da solche Unbestendigkait nachmals für kaine Sünd erkennen, sonnder gleich recht und wol gehandelt zu haben vermainen.

Zu Mosbach haben wirs besser funden. Hat inn der Stat drej feiner gelerter Männer, die miteinander fridlich und ainig leben. Könden wol predigen, seind dem Volckh anmuetig und ist war, das wir inn der gantzen Pfaltz kaine Kirchen, in dern es ordnlicher alls inn dißer zuegange, befunden haben. Das Volckh geet gern zu Kirchen, so schickt man die Jugent fleissig zum Catechismo. [ . . . ]

Zu Prethaim hat es ain feinen Pfarrer, der gern das besst thet. Dieweil er aber vor siben Jarn seines Ambts des Jnterims halben abgesetzt worden, hat im der, so an seine stat komen, und nit allain ain Jnterimist (1), sonder auch ain Zwinglianus (2) gewesen, ein bösen Samen hinder sich gelassen, das wenig Leut zum Sacrament geen und ettwan Zechen bej dem Wein gantz ergerlich und verächtlich von den Sacramenten reden und disputiern.

Jnn der Schuelen hats disen Mangl, das der Schuelmaister allain ist und zugleich Teutsch und Lateinisch nach der Eltern begern mueß Schuel hallten. [ . . . ]

Zu Germersheim [ . . . ] waren doch uber zehn Weibspersonen unn sovil Männer nit inn der Kirchen.

Auf dem Lannd hat es ungelerte Pfarrer, wie aus dem Examen ware abzunemen; und wirdt man inn diß Ambt aines verstendigen und eyferigen Mans zum Super-Intendenten, soll anderst der armen Kirchen geholffen werden, gantz wol bedörffen.

[Dafür, wie es mit den »Gemainschaften« – gemeint sind wohl Bruderschaften – gehalten werden solle, gebe es noch keine Richtlinien. Bis auf weiteren Bescheid blieben diese »eingestellt«.]

Inn dem Neustater Ambt hat sich der Widertauffer (3) und Swenckfelder (4) Sect und Jrthumb angefangen zu erzaigen. Und wie aus dem Ansagen der Pfarrer, Schulthaissen und Kirchen Juraten ware abzunemen, so haben dise bede Secten ann demselben ganntzen gebirg groß überhanndt und zugenomen. Komen inn den Wälden und sonst inn den Winckhlen hauffen weis zesamen.



(1) Das Augsburger »Interim«, die von Karl V. 1548 oktroyierte vorläufige Bekenntnisformel, duldete Laienkelch und Ehen bereits verheirateter Priester, verfügte aber ansonsten die Rückkehr zu altgläubigen Bräuchen und Lehrinhalten. Alle Fußnoten stammen aus: Bernd Roeck, Hg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555-1648. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 33-47.
(2) Anhänger des Zürcher Reformators Huldrych Zwingli (1484–1531).
(3) Als Wiedertäufer bezeichneten sich – nach der Praxis der Erwachsenentaufe – die Anhänger einer reformatorischen Strömung, die ihre ersten Zentren in der Schweiz und in Oberdeutschland hatte.
(4) Caspar Schwenckfeld von Ossig (1489–1561), Theologe, Mystiker, Hauptvertreter des Spiritualismus.

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