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Das Reich und dessen Reformation – Eine Denkschrift Lazarus von Schwendis an Kaiser Maximilian II. (15. Mai 1574)

Nach dem Religionsfrieden von 1555 blieben die Verhältnisse im Reich für mehr als eine Generation relativ friedlich. Die Reichsregierung war gestärkt, der Konflikt mit den Ottomanen in Ungarn stabilisiert, und die protestantische Konfession setzte ihre Verbreitung im Reich soweit fort, dass sie einigen Beobachtern einem gänzlichen Sieg gleichzukommen schien. Doch im Westen, nämlich in den Niederlanden und Frankreich, brachen langwierige, brutale Kämpfe aus. Die religiöse Spaltung machte teilweise die gegnerischen Parteien aus und drohte wiederholt, die Reichsstände in deren Konflikt hineinzuziehen.

Dies war die Ausgangslage, welche den Hintergrund der Memoranda bildete, die Lazarus von Schwendi (1522-84) für Maximilian II. (reg. 1564-76) verfasste. Obwohl sich von Schwendi 1568 auf seine Burg im Elsass zurückgezogen hatte, fand er keine Ruhe, da Maximilian ihn weiterhin in politischen und militärischen Angelegenheiten zu Rate zog. Schwendi war ein nationalistischer Vertreter einer starken Zentralregierung. Sein größter Wunsch war es, die Deutschen unter der Führung des Kaisers zu ihren alten Tugenden und der militärischen macht ihrer Urahnen zurückkehren zu sehen. In religiöser Hinsicht war er ein gemäßigter Protestant, der Kaiser Maximilian den Untergang der katholischen Religion in den deutschen Territorien voraussagte, da sie zusehends Anhänger und ihr Klerus das Ansehen verlor.

Dieser Auszug aus Schwendis Memorandum von 1574 nimmt auf all seine Gedanken hinsichtlich des Reiches und seiner politischen und religiösen Reformen Bezug. Allerdings standen seine Ratschläge für den Kaiser im Gegensatz zur politischen und religiösen Realität. So stand die katholische Kirche beispielsweise kurz vor einer Wiederbelebung, welche sie in die Lage versetzen sollte, innerhalb einer Generation ihre eigenen Reformen durchzusetzen, den protestantischen Vormarsch aufzuhalten und diejenigen Territorien und Besitzungen zurückzuerlangen, welche sie zuvor an die protestantischen Fürsten, Städte und Adligen verloren hatte.

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Allergnädigster Kayser und Herr!

[ . . . ] dieweil ich wohl spüren und abnehmen kan, dass E. Mayt. die jetzige schwere Zeit und leufft und die so hohe und grosse obligen unseres Vatterlandts gnädigst und väterlichen angelegen, [ . . . ] und dann in dergleichen fellen den grossen Potentaten und Fürsten oft Leut mangeln, die sie der warheit und notturfft ohne scheu oder heuchelei erinnern und berichten, so hab ich aus unterthenigsten getreuen gemüth nit unterlassen wollen, E. M. uff derselben gnedig begehrn und wolgefallen noch weiter meines einfeltigen bedenckhens zu berichten, damit sie desto mehr ursach hette, den vorstehenden gemainen hohen obligen auff einen grundt und gewisses zihl nachzudenckhen.

Und ist [ . . . ] gleichwohl an dem, dass E. Mayt. mit Irer Regierung in ein schwere böse Zeit gerathen, da das gemain wesen voller gebrechen und zerrüttung ist, und da man die starckhe Regel und Richtschnur zu regieren übel fortsetzen oder handhaben, noch der gewaltsame der Zeit und allerlay eingerissenen und ausstrauender Verenderung mächtig sein kan.

[Schwendi verweist auf die Abhängigkeit alles menschlichen Tuns von den Gelegenheiten »der Zeit und leufft« und den Dispositionen des Höchsten. Angesichts der »gewaltsame der Zeit« sei eine realistische Analyse der Verhältnisse nötig und Regentenpflicht; sie müsse auf die historische Entwicklung der gegenwärtigen Gebrechen abheben, gleichsam die Diagnose der Krankheiten versuchen. Gefährlich sei, wenn sich Mängel und Gebrechen sowohl in Regierungs- als auch in Religionssachen ergäben.]

Und dieweil die ding gleich wie die Kranckheiten aus onordentlichem leben und wesen sich erzaigen, zunemen und bis auffs höchste wachsen, felt es auch den Häuptern und Regenten alsdann am aller gefährlichsten und schwersten, wenn sie mit ihrer Regierung eben in die Zeit und in den Puncten, da es gar umbgeschlagen und zu einer Veränderung gerathen will, fallen.

[Schwendi kommt nun zu einem weitausgreifenden historischen Exkurs. Er unterstreicht, daß es den »Teutschen« seit zwei Jahrtausenden stets gelungen sei, sich ihre Freiheit zu erhalten, von den Römern ebenso wie gegenüber den Anmaßungen des Papsttums. Auch im Inneren, gegenüber den Kaisern, hätten sie sich diese alte, hergebrachte »hartte, freysame arth« bewahrt, die Kaiser, Päpste und Konzilien hätten gar deren »innerlichen täglichen Privat-Krieg« zulassen müssen – ]

bis jetzo in den letzten hundert Jaren durch Mittel und sitherige Zeith und Manier zu leben und durch einführung der Lehr und Schulen, sonderlich aber durch Erfindung und Brauchsamkheit der Thruckerei und Bücher, dann auch durch hoch vernünfftiges Zuthun der letzten Kayser, solche alte hartte und zuviel freche teutsche Art ist gemildert und alles zu mehreren frieden, besserer Policey und gleichmessigeren Leben und wesen ist gebracht worden.

Aber darneben sind auch alsbalden andere Mängel Gebrechen und Corruptionen in gemein und Sonderhait mit eingefallen, dadurch die alte teutsche einfalt, Andacht und Biderkeit, dann auch Eyfer, einmütigkeit und gehorsam zu Handhabung gemeines Wesens und der Autorität des Reichs und teutschen Kayserthumb nicht wenig abgenommen.

Sonderlich haben die Teutschen dazumal auch angehoben die Augen besser aufzuthun und der Geistligkeit übermässigem Zwang und Trang und die zuviel öffentliche Missbreuche, Geitz und Betrug nit lenger stillschweigend und blind zusehen und gedulden wöllen, daher dann ervolgt, dass schier vor 100 Jahren gravamina Germanicae Nationis wider den Stuel zu Rom, wie die noch im Truck vorhanden, ausgangen sind.

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