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Edgar J. Jung, „Deutschland und die konservative Revolution” (1932)

Die „Konservative Revolution“ war keine festgefügte Gruppe, sondern eine Reihe von nationalistischen Schriftstellern und Intellektuellen, z.B. Arthur Moeller van den Bruck oder Edgar Julius Jung, deren Ideologie im Einzelnen durchaus unterschiedliche Ausprägungen haben konnte, die jedoch durch ihre Gegnerschaft zu Marxismus und Liberalismus verbunden waren (wobei unter letzterem als Schlagwort der Parlamentarismus, die demokratischen Parteien sowie die westliche Demokratie insgesamt zusammengefasst wurden). Abgelehnt wurde außerdem ein reaktionärer – lediglich auf die Wiederherstellung der Monarchie zielender – Konservatismus. Kritik wurde auch am Kapitalismus westlicher Prägung geübt, wobei der „deutsche“ Sozialismus als Gegenbild propagiert, aber nicht definiert wurde. Der hier zitierte Edgar Julius Jung war für eine Elitenherrschaft (im Gegensatz zur von ihm so bezeichneten „Herrschaft der Minderwertigen“ der Weimarer Demokratie) und wurde politischer Berater Franz von Papens.

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Deutschland und die konservative Revolution


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Die deutsche Revolution, inmitten der wir uns befinden, wird kaum manifestierende Formen annehmen, wie die französische im Bastille-Sturm. Sie wird langwierig sein wie die Reformation, aber sie wird um so gründlicher das Gesicht der Menschheit bestimmen. Sie wird rücksichtslos alle Menschenwerte revidieren und alle mechanischen Formen auflösen. Sie wird entgegengesetzt sein den geistigen Triebkräften, Formeln und Zielen, wie sie die französische Revolution gezeitigt hat. Es wird die große konservative Gegenrevolution sein, welche die Auflösung der abendländischen Menschheit verhindert, eine neue Ordnung, ein neues Ethos und eine neue abendländische Einheit unter deutscher Führung begründend. Aber wie im Inneren des gesellschaftlichen und staatlichen Seins die neue Führung nicht auf Gewalt, sondern auf freiwilliger Autorität gegenüber dem verantwortungsbereiten adeligen Menschen beruht, so wird die neue Führung Europas jenseits der Begriffswelt liegen, die Eroberung, Imperialismus, Militarismus oder Entnationalisierung heißt. Wie die französische Revolution den Schwerpunkt Europas nach dem Westen verlegte, so wird die deutsche das Herzstück Europas, seine Mitte, wieder zu ihrem Rechte kommen lassen. Der starrste Beharrungswille auf der Versailler »Ordnung« wird Frankreich nicht vor der bitteren Erkenntnis bewahren, die ihm der Weltkrieg beschert hat und die es heute in rohe Gewaltpolitik verwandelt: der Erkenntnis, daß das biologisch kräftigste Volk Europas die Deutschen sind.

Konservative Revolution nennen wir die Wiederinachtsetzung all jener elementaren Gesetze und Werte, ohne welche der Mensch den Zusammenhang mit der Natur und mit Gott verliert und keine wahre Ordnung aufbauen kann. An Stelle der Gleichheit tritt die innere Wertigkeit, an Stelle der sozialen Gesinnung der gerechte Einbau in die gestufte Gesellschaft, an Stelle der mechanischen Wahl das organische Führerwachstum, an Stelle bürokratischen Zwangs die innere Verantwortung echter Selbstverwaltung, an Stelle des Massenglücks das Recht der Volkspersönlichkeit.

Die Grundhaltung des neuen Menschen, der diese Ordnung begründet, die dadurch die Persönlichkeit und ihr Eigenstes erst wieder herstellt, daß sie diese in demütige Beziehung zum Ganzen setzt, mikrokosmischen Wert und makrokosmischen Vorrang verschmelzend, ist eine religiöse. Weder ins Religionsphilosophische noch gar ins Theologische will diese Betrachtung vorstoßen. Sie soll lediglich aussprechen, daß der demütige Mensch, der gerade deshalb Herr sein kann, weil er sich als Werkzeug Gottes fühlt, Träger der kommenden Neugestaltung sein wird. An dem Grade der inneren Demut, der proportional ist dem ungebrochenen Stolze gegenüber den Massenströmungen der Zeit, bemesse ich die Eignung eines Menschen, Wegbereiter der deutschen Revolution zu sein. Die große Scheidung, die anhebt, geht nicht um moralische Wertungen, um soziale Einstellung, um nationale Gesinnung. Sie geht darum, wer ein wahrer Herr ist, weil er Diener sein kann. Sie geht um die Frage, inwieweit der Einzelne — unabhängig von äußerlich einwirkenden Gesetzen — sich selber Gesetze setzt. Der grauenhafte sittliche Zerfall unserer Zeit ist ja zunächst gar nicht auf der Ebene der Kirchengläubigkeit, des Gehorsams unter die Staatsgesetze oder irgend eines oberflächlichen Ehrenkodexes zu erklären. Das Chaos rührt vielmehr daher, daß keine »Kaste« vorhanden ist, welche sich selbst unerbittlich Gesetze gibt, die auch unerbittlich ausgeübt werden. Dies ist die eine Seite. Die andere heißt: gleiches Maß für Alle. Wer wundert sich unter der Herrschaft dieses gleichen Maßes, daß am Ende die »Ehrauffassung« des Pöbels die der Oberschicht vernichtet? Was kann ein Ehrenwort in einer Zeit noch wert sein, in welcher eine Straßendirne Ehrenwörter verteilt? Wer wundert sich über Enttäuschungen an vermeintlichen Freunden in einer Zeit, da auch schlechtestes Blut ohne weiteres in soziale Schichten sich drängt, die mit der Begriffswelt jener unberechtigten Emporkömmlinge einfach unvereinbar sind? Wer steht der allgemeinen Ehrlosigkeit erstaunt gegenüber, da es keine Schicht mehr gibt, die ihre Reihen mit eiserner Strenge rein hält? Und wo endlich bleibt jenes tätige Vorbild, ohne das sich in breiten Volkskreisen kein Ethos des Umgangs zu bilden vermag, wie es die englische Gesellschaft auch dem einfachsten Manne prägend übermittelte?

Demut vor dem Höheren, freiwillig übernommene Verantwortung, dafür Anspruch auf Herrschaft, das ist der Ausdruck jener religiösen Grundhaltung, die nur der Mensch guter Rasse aufzubringen vermag. Aus dieser Haltung, dieser neuen Gläubigkeit wird auch eine zwingende religiöse Formenwelt erwachsen. Wenn oben gesagt wurde, die deutsche konservative Revolution sei in allem das Gegenteil der französischen, so begreift diese Meinung auch die Hoffnung in sich, daß die konservative Revolution Gott einen neuen Altar errichten werde, wie ihn die französische der Göttin Vernunft errichtet hat.

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