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Arthur Moeller van der Bruck, „Das Dritte Reich” (1923)

Ursprünglich wollte Arthur Moeller van den Bruck, einer der wichtigsten Autoren der Konservativen Revolution, sein bekanntestes Buch „Die Dritte Partei“ nennen (vorgeschlagen war auch „Der Dritte Standpunkt“). Der letztlich gewählte Titel „Das dritte Reich“ verweist auf die chiliastische Geschichtsdeutung des mittelalterlichen Theologen Joachim von Fiore; in der Verbindung dieser Vorstellung mit einer bestimmten Nation wurde Moeller von der Idee des „Dritten Roms“ inspiriert, die ihm durch die Russen Fjodor Dostojewski und Dmitri Mereschkowski vertraut war. Als erstes Reich benannte Moeller das Reich des Mittelalters, als zweites das 1871 gegründete Kaiserreich, welches aber u.a. wegen der Nichteinbeziehung Österreichs für ihn nur ein „Zwischenreich“ darstellte. Das großdeutsche dritte Reich sollte als „Endreich“ die Erfüllung der deutschen Geschichte sein und alle sozialen und politischen Gegensätze in sich aufheben. Außerdem polemisierte Moeller gegen den Marxismus sowie – als besonders verhasstes Feindbild – gegen einen zerrbildhaft verzeichneten Liberalismus und grenzte sich von einem reaktionären Konservatismus ab; gleichzeitig sprach er sich für eine Synthese aus „deutschem“ Sozialismus und revolutionärem Konservatismus aus.

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Der Versuch, der in diesem Buche gemacht wurde, war nur von einem Standpunkte aus möglich, der keiner Partei verschrieben ist, vielmehr die ganze Spanne der Probleme einbezieht, die durch die Politik unserer Zeit gehen, von der äußersten Linken bis zur äußersten Rechten: nur von einem dritten Standpunkte aus, der jeden anderen einschließt, den Parteideutsche haben können — von dem Standpunkte einer dritten Partei aus, die es bereits gibt. Nur ein solcher Versuch konnte sich, indem er die Parteien angriff, über sie hinaus an die Nation wenden. Nur ein solcher Versuch konnte die deutsche Zerrüttung und Zwieschaft aufzeigen, die aus langen Verhängnissen von den Parteien her, und durch sie, in unser politisches Leben getragen worden sind. Nur ein solcher Versuch konnte wieder die geistige Ebene politischer Anschauung feststellen, die von der Parteipolitik verlassen worden ist und die gleichwohl um der Nation willen gehalten, konservativ behauptet, revolutionär erstürmt werden muß.

Wir setzen an die Stelle der Parteibevormundung den Gedanken des dritten Reiches. Er ist ein alter und großer deutscher Gedanke. Er kam auf mit dem Verfalle unseres ersten Reiches. Er wurde früh mit der Erwartung eines tausendjährigen Reiches verquickt. Aber immer lebt in ihm noch ein politischer Gedanke, der sich wohl auf die Zukunft, doch nicht so sehr auf das Ende der Zeiten, als auf den Anbruch eines deutschen Zeitalters bezog, in dem das deutsche Volk erst seine Bestimmung auf der Erde erfüllen werde.

Wir haben in den Jahren, die auf den Zusammenbruch unseres zweiten Reiches folgten, unsere Erfahrung mit Deutschen gemacht. Wir haben in diesen Jahren zum anderen Male erlebt, daß die Nation ihren Feind in sich selbst hat, in ihrer Vertrauensseligkeit, in ihrer Unbekümmertheit, in ihrer Gutgläubigkeit und, wenn wir diese seelischen Eigentümlichkeiten auf eine weltanschauliche Formel bringen wollen, in einem angeborenen, einem überaus verhängnisvollen und, wie es scheint, durch nichts zu erschütternden Optimismus. Kaum war das deutsche Volk niedergeschlagen, wie noch nie ein geschichtliches Volk niedergeschlagen worden ist, als in seinen Menschen eine Stimmung aufkam: wir werden schon wieder hochkommen! Wir hörten die deutschen Toren versichern: um Deutschland ist uns nicht bange! Und wir sahen den deutschen Träumer dazu nicken: mir kann nichts geschehen.

Wenn wir zu diesem Volke von einem dritten Reiche sprechen, dann müssen wir uns eine klare und kalte Rechenschaft darüber geben, daß auch nicht die geringste Gewißheit darüber besteht, die mit ihm verbunden wäre. Der Gedanke des dritten Reiches ist ein Weltanschauungsgedanke, der über die Wirklichkeit hinaushebt. Nicht zufällig sind die Vorstellungen, die schon bei dem Begriffe sich einstellen, bei dem Namen des dritten Reiches, und ebenso bei einem Buche, das von ihm den Titel empfängt, von vornherein ideologisch bloßgestellt, sind seltsam wolkig, sind gefühlvoll und entschwebend und ganz und gar jenseitig. Das deutsche Volk ist nur zu geneigt, sich Selbsttäuschungen hinzugeben. Der Gedanke des dritten Reiches könnte die größte aller Selbsttäuschungen werden, die es sich je gemacht hat. Sehr deutsch würde sein, wenn es sich auf ihn verließe, und wenn es sich bei ihm beruhigte. Es könnte an ihm zugrunde gehen.

Dies muß hier gesagt sein. Der Gedanke des dritten Reiches, von dem wir, als unserem höchsten und letzten Weltanschauungsgedanken, nicht lassen können, kann fruchtbar nur als ein Wirklichkeitsgedanke werden: wenn es gelingt, ihn dem Illusionistischen zu entrücken und ganz in das Politische einzubeziehen — so realistisch, wie die Bedingungen unseres staatlichen und nationalen Lebens sind, unter denen wir als europäisches Volk leben sollen, und so skeptisch und pessimistisch, wie es uns im Angesichte dieser Gegenwart zukommt.

Es gibt Deutsche, die von dem neuen Reiche versichern, das in Trümmern aus den Vorgängen des neunten November entstand, es sei bereits das dritte Reich, demokratisch und republikanisch und damit logisch-vollendet. Es sind unsere Opportunisten und Eudämonisten. Es gibt andere Deutsche, die ihre Enttäuschung nicht leugnen, aber auch jetzt noch der Vernunft der Geschichte vertrauen. Es sind Rationalisten und Pazifisten. Sie alle ziehen die Schlußfolgerungen ihrer, je nachdem, parteipolitischen oder utopistischen Wünsche, aber nicht diejenigen der Wirklichkeit, die uns umgibt, und möchten nicht wahrhaben, daß wir eine gebundene und mißhandelte Nation sind, die vielleicht dicht, ganz nahe und unmittelbar vor ihrer Auflösung steht. Aber unsere Wirklichkeit heißt. Triumph aller Völker der Welt über die deutsche Nation. Unsere Wirklichkeit heißt: Überbietung des Parlamentarismus in unserem Lande nach dem Vorbilde des Westens. Unsere Wirklichkeit heißt: Herrschaft der Parteien. Das dritte Reich, wenn es je sein wird, schwebt nicht in Wohlgefallen hernieder. Das dritte Reich, das den Unfrieden endet, wird nicht in einem Frieden erstehen, der sich weltanschaulich verwirklicht. Das dritte Reich wird ein Reich der Zusammenfassung sein, die in den europäischen Erschütterungen uns politisch gelingen muß.

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