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Das System Kohl (28. September 1998)

Der Journalist der Berliner Zeitung schließt sich der allgemeinen Meinung an: Helmut Kohls Rolle als Modernisierer der Christlich-Demokratischen Union sei unbestritten. Allerdings habe er seine Stellung als Parteivorsitzender und Kanzler im Laufe der Jahre mehr und mehr zu seinem eigenen Machterhalt und Machtausbau genutzt. Nach seiner Niederlage bei den Bundestagswahlen hinterlasse er deshalb seiner Partei eine schwere Hypothek.

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Ende einer Kanzlerschaft

Zu lange hatte die große Gestalt des „Weltklasse“-Politikers Helmut Kohl die Schwächen der Union verdeckt – schleichend erstarrte das Parteileben



Manche CDU-Mitglieder hatten das Ende der Kanzlerschaft geahnt und befürchtet, andere hatten es klar kommen sehen. Aber kaum jemand hat vor dem Wahlabend offen darüber geredet. Tapfer unterdrückten sie ihre Ängste, riefen laut „Mach’s noch mal Helmut“ und vertrauten auf den Mythos seiner Unbesiegbarkeit.

War es Helmut Kohl nicht jedes Mal wieder gelungen, nach einer fulminanten Aufholjagd den politischen Gegner im Ziel abzufangen? Hatte der „Kampfelefant“ nicht an jedem Abend einer Bundestagswahl seit 1983 über seinen jeweiligen SPD-Herausforderer triumphiert? Und hatte er nicht die Kleinmütigen und Verzagten in der eigenen Partei beschämt? So war es bisher. Doch auch die längste Erfolgsserie geht einmal zu Ende.


Programm vernachlässigt

Lange, viel zu lange hatte die große Gestalt des „Weltklasse“-Politikers die Schwächen der Union verdeckt. Weil Kohl sich und ihnen die Macht sicherte, haben viele Christdemokraten die schleichende Erstarrung des Parteilebens ignoriert. Weil er besser als jeder andere deutsche Politiker das Mehrheitsgefühl der Menschen verkörperte, haben Parteigremien den inneren Diskurs über Profil und Programm vernachlässigt. Und weil es ihm in 25 Jahren als Vorsitzender gelungen war, die christliche Volkspartei mit ihren Flügeln und Gruppeninteressen zusammenzuhalten, hat sich das Parteivolk nicht daran gestört, daß Kohl kritische Geister an den Rand drängte und Ruhe zur vornehmsten Christdemokraten-Pflicht erklärte.

Als der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz 1973 als neuer Hausherr in die Bonner CDU-Zentrale kam, war die Partei in einem ähnlichen Zustand. Unter der Regentschaft von Konrad Adenauer war sie zum „Kanzlerwahlverein“ geworden, eine lose Vereinigung von Interessengruppen, die vom Streben nach Machterhaltung zusammengehalten wurde. Die Nachfolger des „Alten“, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Rainer Barzel, hatten daran nicht viel geändert. Erst Helmut Kohl, „der schwarze Riese“ aus Mainz, wie er seinerzeit genannt wurde, erkannte die Schwächen und machte sich daran, den betulichen Honoratioren-Verband aus seinen Verkrustungen zu befreien und in eine moderne Volkspartei zu verwandeln.

Kohl, der Mann aus der Provinz, verkörperte einen neuen Typus von Parteiführer. Pragmatisch, flexibel und aufgeschlossen für Reformen. Er sammelte kluge und eigenwillige Leute, wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler und Peter Radunski, um sich, mit denen er das verstaubte Adenauer-Haus umkrempelte und die CDU zu einer motivierten, schlagkräftigen Truppe ausbaute.

Die Erneuerung beschränkte sich aber nicht nur auf die Organisation. Mit einem wachen Sinn für gesellschaftliche Veränderungen machte sich Kohl daran, die Union auch programmatisch zu entrümpeln und für neue Strömungen zu öffnen. Auf den Parteitagen der siebziger Jahre wurde kontrovers, lebendig und kreativ diskutiert. Über die Mitbestimmung und die Bodenreform, über Unternehmensrecht und die „neue soziale Frage“, mit der sich die CDU, vorangetrieben vom Vordenker Heiner Geißler, stärker gesellschaftlichen Randgruppen zuwandte.

Mit der Übernahme des Regierungsamtes 1982 begannen sich die Gewichte zu verschieben. Die Sicherung der Macht wurde wichtiger als die Wandlungsfähigkeit der Partei. Unbequeme Köpfe verschwanden nach und nach aus der Umgebung. Das Konrad-Adenauer-Haus verlor mehr und mehr seinen Rang als eigenständiges geistiges Zentrum zugunsten des Kanzleramtes. Und auch die Führungsgremien der CDU verstanden sich bald mehr als Akklamationstruppe denn als kritisches Korrektiv der Bundesregierung.

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