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Erste gesamtdeutsche Wahl (30. November 1990)

In der vorgezogenen Bundestagswahl von 1990 steht Helmut Kohl schon wenige Wochen vorher als Sieger fest. Dazu habe, so der renommierte Journalist Robert Leicht, nicht nur seine Rolle bei der Vereinigung beigetragen, sondern auch gravierende Fehler der SPD. Der Schein der Stabilität würde jedoch täuschen; die hinausgeschobenen Probleme der letzten Jahre würden die neue Regierung unter Helmut Kohl verstärkt herausfordern.

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Bleibt einfach alles, wie es ist? Vor der Bundestagswahl: Auch ohne Regierungswechsel kommt der Themenwechsel



Die erste gesamtdeutsche Wahl, kein Zweifel, ist ein historisches Ereignis. Doch was wird dabei schon anderes herauskommen als eine fast schon routinemäßige Bestätigung: Weiter so, Deutschland?

Das Wahlergebnis steht nach allem, was man erfragen und erspüren kann, im großen und ganzen schon fest. Allenfalls um die Margen geht es noch – und darum, wie die Kräfte im konservativliberalen Bündnis verteilt sein werden. Kann die FDP, wie 1980 beim letzten Wahlsieg der sozialliberalen Koalition, sich zu Lasten der Kanzlerpartei deutlich profilieren? Selbst die politischen Gegner der Regierung erwarten einen neuerlichen Sieg der Bonner Koalition. It’s time for a change, Zeit für einen Machtwechsel – eine solche Grundwelle der öffentlichen Meinung stellt sich nicht einmal im Oppositionslager ein.

Gab es also, gibt es gar keine Alternativen? Muß alles so kommen, so bleiben, wie es ist – weil der Prozeß der deutschen Vereinigung, in dessen Verlauf die Mauern barsten und die Betonköpfe wackelten, die politischen Verhältnisse hierzulande dauerhaft zementiert?

Davon kann keine Rede sein. Gewiß, wir haben keinen aufregenden Wahlkampf erlebt. Dafür aber war in diesem Jahr die Politik selber spannend wie selten zuvor. Sie war spannend, weil die Entwicklung immer wieder offen war für richtige oder falsche Weichenstellungen. Daran jedoch wird sich auch künftig nichts ändern. Der Schein der unpolitischen Stabilität entspringt einer optischen Täuschung.

Sicherlich gab es keine Alternativen zur schnellen Verwirklichung der staatlichen Einheit, also zur Politik der Regierung. Sehr wohl aber gab es Alternativen zur Politik der Opposition.

Die deutsch-deutsche Vereinigung, so lamentiert vor allem die SPD, habe alles andere in den Hintergrund gedrängt, sogar die Tatsache, daß Helmut Kohl noch im Frühjahr 1989 äußerst angeschlagen war. Wohl wahr – aber deshalb brauchten doch die Sozialdemokraten im Jahr der Einheit noch lange nicht ins Trudeln und ins Hintertreffen zu geraten – schon gar nicht als jene politische Kraft, die mit ihrer offensiven Entspannungspolitik eine wichtige Voraussetzung des jüngsten Wandels geschaffen hatte (was nun zum Ende des Wahlkampfes sogar Helmut Kohl vor dem Bundestag in seiner Regierungserklärung zum KSZE-Gipfel in aller Form anerkannt hat).

Die Einheit, so heißt es weiter, das war die Stunde der Exekutive; die Regierung habe handeln können, die Opposition nicht. Wohl wahr – aber das war in den Jahren zuvor, als die Bonner Regierung sehr viel schlechter dastand, im Prinzip auch nicht anders.

Nein, an der Rollenverteilung hat es nicht gelegen, sondern in erster Linie daran, wie Regierung und Opposition ihre Rolle wahrgenommen haben. Der Verweis auf dieses Jahr der Einheit taugt deshalb auch nicht dazu, die gegenwärtigen Schwächen der Sozialdemokraten zu verhüllen – er legt sie vielmehr schonungslos bloß.

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