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Ein neues Kapitel in der deutschen Außenpolitik? (21. Dezember 1991)

Bei dem Vorstoß Deutschlands, Kroatien und Slowenien völkerrechtlich anzuerkennen hat die Bundesregierung die Schatten der Vergangenheit unterschätzt und mit ihrer Politik Ängste bei den europäischen Bündnispartnern geschürt. Eine Politik des Alleingangs, so der Autor, widerspreche der Einbindung Deutschlands in Europa und schade der internationalen Rolle Deutschlands.

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Der deutsche Alleingang



Die Folgen des Zweiten Weltkrieges sind bereits eine ausreichende Belastung für die deutsche Außenpolitik. Mit ihrer Jugoslawien-Politik ist die Bundesregierung nun dabei, auch noch einen Teil der Folgen des Ersten Weltkrieges zu schultern. Damit werden Erinnerungen lebendig, die längst begraben zu sein schienen. Aber vielleicht wundern nur wir uns darüber, weil selbst studierte Historiker wie Helmut Kohl nur ein Kurzzeitgedächtnis zu haben scheinen. Überlebensgroß sind die Schatten, die plötzlich aus der Tiefe der Geschichte auf uns und auf Europa fallen: das österreichisch-deutsche Bündnis gegen die Balkanvölker im Ersten Weltkrieg, die Missachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker durch die Friedensverträge von 1918, die Unterstützung des kroatischen Nationalismus durch Hitler und die Grausamkeiten des von den Nazis unterstützten Ustascha-Regimes. Völker haben ein langes Gedächtnis, insbesondere wenn ihre Geschichte vorwiegend aus Verfolgung und Unterdrückung bestand. Demütigungen vergisst man nicht so schnell.

Genscherismus und Kohlismus

Aber nicht nur auf dem Balkan reicht das Gedächtnis über zwei Generationen zurück, sondern auch in Paris und London. Dass Bonn ausgerechnet bei der Anerkennung von Kroatien und Slowenien vorangehen will und die EG auf seinen Kurs zu zwingen versucht, wird als Machtdemonstration und Erpressung empfunden, als Pochen auf einen deutschen Führungsanspruch, das so schnell nach dem Gipfel von Maastricht den Eindruck erweckt, als wolle Deutschland den Preis für sein europäisches Entgegenkommen eintreiben, ja als stecke hinter diesem Europa-Eifer ein Masterplan zur Erringung der wirtschaftlichen und politischen Vorherrschaft in Europa. Entsprechend stark ist der Wunsch, die Ausdehnung des deutschen Einflusses auch in Mittelosteuropa zu begrenzen. Die Verärgerung ist um so größer, als Franzosen und Briten wissen, dass ihnen dies kaum gelingen wird. Die Zeit für europäische Machtpolitik im Stile des 19. Jahrhunderts ist vorbei, auch in Bonn. Keiner ist dafür stark genug; das Zauberwort der EG heißt Einbindung. Es setzt freilich das Einhalten von Spielregeln voraus. Wer sich wie John Major in Maastricht nicht daran hält, kann sich kaum über Alleingänge anderer beklagen. Die Franzosen sind da konsequenter. Ohne ihre geschickte Diplomatie wäre der Jugoslawien-Kompromiss der EG-Außenminister nicht zustande gekommen. Sie hatten verstanden, dass man Kohl, der die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens vor Weihnachten versprochen hatte, helfen musste, das Gesicht zu wahren.

Wenn Bonn keine Machtpolitik betreibt, was tut es aber dann? Die Irritation bei den Nachbarn über das Verhalten der Bundesregierung ist in der Tat verständlich und berechtigt. Die Mischung aus Genscherismus und Kohlismus, aus Formelkompromissen und Kraftmeierei, die augenblicklich in der deutschen Außenpolitik vorherrscht, ist schwer zu durchschauen. Zunächst fällt auf, dass sich Helmut Kohl als der Erfinder, Promoter und Vollender der Politischen Union aufspielt, diese aber schon bei der ersten Gelegenheit aufs Spiel setzt. Nicht weniger irritierend ist ein Vergleich des deutschen Verhaltens während des Golfkrieges mit dem im Jugoslawien-Konflikt. „Die Deutschen“, schrieb bei Beginn der Operation „Wüstensturm“ ein amerikanischer Kolumnist, „stehen hinter uns so weit hinten, dass man sie kaum sehen kann.“ Die Schuld für die Scheu der Deutschen vor der Übernahme internationaler Verantwortung wurde weitgehend Genscher angelastet, der im Ruf steht, die Amerikaner nicht zu mögen und lieber zu lavieren als zu führen. Nun stehen die Deutschen plötzlich so weit vorn, dass man sich auch in Washington fragt, was sie da wollen.

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