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Maßnahmen zur Reduzierung des Aussiedlerzustroms (29. März 1990)

Um die Zahl der Aussiedler zu beschränken, drängt Innenminister Wolfgang Schäuble auf ein Gesetz, das Auswanderungswillige zwingen soll, sich in ihren Herkunftsländern zu bewerben und handfeste Beweise für ihre deutsche Herkunft vorzulegen.

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Aussiedleraufnahme nur noch nach Verfahren im Herkunftsland
Aber Leistungen bleiben – Mehr Personal für die Botschaften


Deutschstämmige aus Osteuropa sollen künftig nur dann in die Bundesrepublik kommen dürfen, wenn sie bereits in ihrem Herkunftsland als Aussiedler anerkannt wurden. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den gestern das Bundeskabinett beschloß. Nach den Worten von Bundesinnenminister Schäuble soll das „besonders eilbedürftige Gesetz“ nach Zustimmung des Bundesrats bereits am 22. Juni in Kraft treten.

Eine Einschränkung der Leistungen für Aussiedler sei mit dem neuen Gesetz aber nicht verbunden, versicherte Schäuble. Die vom Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Dreßler, geforderte Streichung dieser Leistungen nach dem Vertriebenengesetz, dem Fremdrentenrecht und aus dem Lastenausgleich lehnte er ab. Nicht anerkannte Aussiedler, die auf eigene Faust zum Beispiel mit einem Touristenvisum in die Bundesrepublik kommen, müssen nach Angaben des Ministers damit rechnen, zunächst in ihr Herkunftsland zurückgeschickt zu werden.

Für die zusätzlichen Aufgaben bei der Verlagerung des Aufnahmeverfahrens ins Ausland sollten die bundesdeutschen Vertretungen besser ausgestattet werden, sicherte der Minister zu. Der Mehraufwand solle unter anderem durch zusätzliches Personal aufgefangen werden.

Der Aufnahmebescheid, der Voraussetzung für die besonderen Leistungen für Aussiedler ist, soll nach dem Gesetzentwurf erst dann erteilt werden, wenn das aufnehmende Bundesland seine Zustimmung gegeben hat. Zwischen den Bundesländern und dem Bund ist allerdings umstritten, ob Personen, die während des Dritten Reiches in der „Volksliste 3“ erfaßt wurden, ohne weitere Kriterien als Aussiedler anerkannt werden. Zu dieser Liste gehören auch Personen, die nicht einer deutschen Volksgruppe zuzurechnen sind. Während der Bund sie anerkennen will, lehnen die Länder geschlossen diese Liste als Aufnahmegrund ab.

Nach einer Übersicht des Innenministeriums kamen im vergangenen Jahr insgesamt rund 380 000 Aussiedler in die Bundesrepublik, in diesem Jahr waren es bis zum vergangenen Dienstag mehr als 99 000. Mit der Öffnung der osteuropäischen Staaten und den besseren Reisemöglichkeiten sei „die Zahl derjenigen gestiegen, die in der Bundesrepublik Deutschland die Feststellung der Aussiedlereigenschaft betreiben, obwohl sie die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllen“, sagte Schäuble. Vor allem aus Polen kämen viele Menschen als Touristen, die dann als Aussiedler anerkannt werden wollten. Von ihnen seien im vergangenen Jahr 15 Prozent zurückgeschickt worden.



Quelle: „Aussiedleraufnahme nur noch nach Verfahren im Herkunftsland“, Der Tagesspiegel, 29. März 1990.

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