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Memorandum vom Staatsministerium des Großherzogtums Nassau (1822)

Das Staatsministerium des Großherzogtums Nassau verfasste 1822 ein Memorandum zu Ansiedlung und Heiratsrechten von Juden. Obwohl die Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden recht detailreich geschildert werden, befürworteten die Verfasser den Abbau feindseliger Vorurteile und lehnten jegliche „Zwangsverbesserung“ der Juden ab. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen der vorangegangenen drei Jahrzehnte plädierte das Memorandum für eine Ausweitung der Rechte von Juden im Großherzogtum.

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Ausgegangen davon, daß man die im Herzogtum lebenden Juden nicht vertilgen, nicht fortjagen, nicht mit Gewalt zum Christentum bekehren, nicht hindern kann zu leben und ihr Brot ohne Stehlen zu gewinnen, fragt es sich, abgesehen von aller Anklage und Verteidigung derselben, was mit ihnen anzufangen ist. Die früheren Maximen waren, sie als eine bloß tolerierte Sekte zu betrachten, die man abgesondert von allen bürgerlichen Verhältnissen existieren und wirken ließ, wofür sie dem Staat bloß ein Schutzgeld zahlten, ohne weder an den Staats- noch bürgerlichen Lasten teilzunehmen. Auch bekümmerte sich der Staat gar nicht um ihre inneren Verhältnisse, welche durch ihre Rabbiner geordnet wurden. Von bürgerlichen Gewerben waren sie ausgeschlossen, sie konnten keine Liegenschaften ohne besondere Erlaubnis akquirieren, kein Handwerk lernen oder betreiben, Ellen- und Spezereihandel war ihnen an den meisten Orten versagt, und nur der Handel mit Vieh, Fellen, Fellwaren, Schlachten etc. stand ihnen frei. Dieses Verhältnis hörte in neueren Zeiten auf. Man zog die Juden zu den Staatslasten zu, sie mußten sich der Konskription fügen, Grund- und Gewerbsteuer zahlen, sich den bürgerlichen Lasten unterziehen, kurz alle Lasten als Staats- und Gemeindsbürger tragen, ohne zu den Rechten eines Staats- und Gemeindsbürgers zugelassen zu werden. Handwerke und Handelsgewerbe außer den ebengenannten blieben ihnen verschlossen, und sie durften nur Grundeigentum akquirieren. Später wollte man sie mit Gewalt zwingen, Bauern zu werden. Sie sollten soviel Ackerland akquirieren, daß sie es ausschließlich mit Judenknechten bauen und davon leben könnten. Dieser Sprung war zu groß, um ausführbar zu sein. Später sollte nur in der Regel der älteste Sohn eines Schutzjuden rezipiert werden, die anderen nicht. Besondere Qualifikation, Vermögen, gute Aufführung, alles das half nichts, und nur mit wenigen Ausnahmen ward darauf bei Nachgeborenen reflektiert. Wenn das erstere, daß der Jude alle Lasten tragen mußte, ohne irgendein Recht dadurch zu erlangen, ungerecht war, so zog das zweite und dritte große Inkonvenienzen nach sich, und wenn es der einzige Zweck aller dieser Maßregeln sein kann, den Juden vom Handel zu entwöhnen, ihn durch Betrieb des Ackerbaues oder nützlicher Gewerbe den andern Staatsbürgern näher zu bringen, kurz ihn moralisch besser und dem Staat weniger schädlich zu machen, so ward dieser Zweck ganz verfehlt, was die Erfahrung bereits bewiesen hat. Ob derselbe durch die neue Maxime, die Zahl der bestehenden Judenfamilien nicht zu vermehren, sondern nur an die Stelle eines abgehenden Familienhauptes ein neues zu rezipieren, erreicht werde, möchte wohl aus folgenden Gründen zu bezweifeln sein: 1. Wird dadurch die Vermehrung der Juden nicht gehindert, wohl aber dadurch wie überhaupt durch Erschwerung der Ehen Unsittlichkeit auffallend befördert. Statt ehelichen wird es an außerehelichen Kindern nicht fehlen. Statt Familienvätern wird es Wüstlinge geben, statt gut erzogenen Kindern wild aufwachsende! Naturam furca expellas, tamen usque redibit. 2. Die Normalfamilien werden kein Interesse

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