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Proteste in Ostdeutschland (22. August 2004)

Anlässlich der Einführung einer weiteren Stufe der Reform des Arbeitsmarktes (Hartz IV) wurden in vielen Teilen Ostdeutschlands Montagsdemonstrationen organisiert, die weit mehr Demonstranten auf die Straße bringen als im Westen. Die Gründe, so die Journalistin, seien in den unbewältigten Problemen der Vergangenheit und in der fehlenden wirtschaftlichen Perspektive für die Zukunft zu sehen.

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Aufstand Ost

Es brodelt in den neuen Ländern. Der Aufbau Ost stockt. Viele Menschen fühlen sich als Verlierer, denen nun auch noch der soziale Schutz genommen wird. Woche für Woche wächst der Zulauf zu den Demonstrationen – aber auch zu den radikalen Parteien links und rechts. Größter Gewinner der Unruhe ist die PDS.



Rainer Roth ist ein Ossi. Eigentlich darf es in diesen Tagen sogar heißen: Rainer Roth empfindet sich als waschechter Ossi. Arbeitslos, Hartz-IV-Gegner, Montagsdemonstrant. Aufgewachsen in einem Land, das es nicht mehr gibt. Noch vor ein paar Wochen hätte er das nicht betonen müssen. Dann kam der Zorn über die Arbeitsmarktreform, und jetzt strömen die Menschen an jedem Montag zu tausenden auf die Straßen, um gegen die Regierung zu demonstrieren. „Es ist katastrophal, dass wir im Osten 14 Jahre nach der Einheit so ignoriert werden“, sagt Rainer Roth. „Ein Wessi kann das nicht verstehen.“

Im brandenburgischen Senftenberg, rund 140 Kilometer südöstlich von Berlin, hat Roth eine der ersten Montagsdemonstrationen organisiert – eine „Widerstandsgruppe formiert“, wie er selber sagt. Als er Ende Juli zum ersten Treffen lud, rechnete er mit einer Hand voll Teilnehmer. 150 Menschen drückten sich schließlich in die Bänke der Senftenberger Kirche. Die meisten wollten noch am gleichen Abend Plakate malen und hinaus auf die Straße.

Ihr Ziel ist klar: Hartz IV muss weg. Für den 2. August meldete die Gruppe die erste Demonstration an. Rund 1000 Teilnehmer strömten durch die 24 000-Seelen-Stadt. Zwei Wochen später zählte Roth schon 3000 Teilnehmer. „Und beim nächsten Mal werden es noch mehr sein“, sagt der 48-Jährige. „Das hat inzwischen Dimensionen erreicht, mit denen wir nicht gerechnet haben.“

Der Osten steht auf. Über 80 000 Menschen gingen in den neuen Ländern vergangenen Montag auf die Straße, um ihrer Wut über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II Luft zu machen. Reichte es im Westen nur zu ein paar hundert Demonstranten hier und ein paar Dutzend dort, so organisieren Arbeitslosenverbände, Gewerkschafter und Globalisierungsgegner im Osten den geballten Widerstand.

Montagsdemonstrationen nennen sie ihre Aktion in Anlehnung an die Proteste im Wendejahr 1989. Dass es diesmal nicht um den Widerstand gegen eine Diktatur geht, sondern gegen ein Reformgesetz, stört sie nicht. „Der Osten brennt“, schreibt die Super-Illu.

So weit ist es noch nicht. Bisher veranstalten die Hartz-Gegner in Leipzig, Magdeburg, Berlin oder Senftenberg ihre friedlichen Demonstrationen unabhängig voneinander. Künftig wollen sie ihre Proteste abstimmen. Nächsten Samstag treffen sich die Aktivisten in Leipzig, um eine Strategie zu entwickeln. Sie dürften dann auch beraten, ob SPD-Abweichler Oskar Lafontaine am 30. August in Leipzig sprechen soll.

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